Gastbeitrag:
Frank Maywald
"Die Wohlfühldiktatur", Spiegel Heft Nr. 10, S. 56-62, 07.03.05,
welcher verfasst wurde von Götz Aly (* 3. Mai 1947 in Heidelberg),
deutscher Journalist, Historiker und Sozialwissenschaftler.
In meiner Kritik beschränke ich mich nicht nur ausschließlich auf
den o.g. Spiegelartikel. In ähnlicher Weise äußerte sich Herr Prof.
Götz Aly zum gleichen Thema, sowohl in seiner Rede zur Verleihung
des Heinrich-Mann-Preises (Akademie der Künste, 03.05.2002) als auch
in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (01.09.2005) sowie in
einem Interview, das Herr Robin Alexander mit ihm führte. (taz Nr.
7565 vom 15.01.2005, S. 4-5). Mein Einwand ist nicht die Kritik
eines fachkundigen Historikers noch wird sie den Ansprüchen dieser
Profession gerecht. Was zeigt, dass Herr Götz Aly auf der sicheren
Seite ist und eine Wahrheit verkünden darf, die uns glaubhaft machen
will, dass alles mit den überzogenen Ansprüchen der "kleinen Leute"
begann.
Mir reicht es schon festzustellen, dass Herr Götz Aly seine recht
eigenwilligen Interpretationen mit Hilfe eines objektivierenden
Schemas von "Fakten" und Zahlenangaben zu legitimieren sucht. Mein
Zeit- und Arbeitsaufwand reicht leider nicht aus, um auf die
unzähligen Quellen hinzuweisen, die Herrn Aly davon überzeugen
würden, dass die NS-Verbrechen nicht allein nur etwas mit der
"gemeinschaftsseligen Klassenharmonie" der kleinen Leute zu tun
hatte. Aber er kann mit seinen vereinfachenden Schlussfolgerungen
darauf bauen, dass ein großer Teil von uns das so hinnimmt. Denn wer
von uns kann, ohne sich selbst damit zu überfordern, die gleiche
Arbeit leisten, um Herrn Aly in einzelnen Dingen gekonnt zu
widersprechen. Wer von uns ist schon ein "Virtuose der Archive und
der Quellenauswertung". Unser "methodisches Rüstzeug" beschränkt
sich meist auf das Grobe am Fließband oder bei einer anderen
stupiden Tätigkeit. Ich habe den leisen Verdacht, dass jene
spezifische inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Thema durch
Herrn Götz Aly, eine zeitgeistgemäße Betrachtung offeriert, die den
sozialstaatlichen Gedanken schlechthin als Keim für das noch
schlimmere Verbrechen benennt.
Er möchte auf historische Zusammenhänge hinweisen, die einen Roten
Faden erkennen lassen, welcher den jeweiligen Betrachtern die
Vermutung nahelegen, die Verbrechen des Dritten Reiches hätten
hauptsächlich etwas mit deren sozialstaatlichen Protektionismus zu
Gunsten der kleinen Leute zu tun gehabt.
Er kennzeichnet die sozialstaatlichen Elemente des NS-Regimes als
konstitutive Merkmale für die "verbrecherische Dynamik des
Nationalsozialismus". Die "verbrecherische Dynamik des
Nationalsozialismus" sieht Herr Götz Aly in einem "Regime der
sozialen Wärme" begründet, weniger in einem "Gesamtgeschehen", das
sich in die gesellschaftliche und ideengeschichtliche Verworfenheit
einer ganzen Nation einrahmen lässt. Im Sinne von Herrn Aly sind für
die Verbrechen der braunen Diktatur allein die überzogenen Ansprüche
des "kleinen Mannes" bzw. die daraus abgeleiteten "Sozialreformen"
verantwortlich zu machen.
"Den einfachen Leuten ging es im Nationalsozialismus gut. Sie haben
gerne mitgemacht und vom Krieg profitiert". Man sollte, so Herr Aly,
"nicht länger auf Großbanken und Konzerne starren" und allein bei
ihnen die Schuldigen ausmachen, vielmehr ziemt es sich die Antwort
woanders zu suchen - ungeachtet der "merkwürdigen Details zur
Erklärung des Gesamtgeschehens".
Um eine, dem heutigen Zeitgeist entsprechende, Rahmung des Themas
ist Herrn Aly gelegen. Er spricht die Sozialreformen an und die
damit verbundene
"rücksichtsvolle Steuerpolitik für den kleinen Mann". Die
Sozialreformen sind "exemplarisch" für "die vielfach - oft auf
Kosten anderer - staatlich gebotenen Möglichkeiten des (sozialen)
Aufstiegs von "Kindern aus ärmlichen Verhältnissen". Der
"schulgeldfreie Zugang zur höheren Bildung (...) gehörte zum
Programm der NSDAP, was nach Herrn Alys Meinung auch ursächlich mit
dem kostenlosen Studium in der heutigen Zeit in Verbindung zu
bringen ist. Nüchtern stellt Herr Prof. Götz Aly fest, alles begann
mit der "staatlichen Förderung begabter, sozial benachteiligter
Kinder". Diese Art "nationaler Binnensozialismus" und die damit
verbundene "soziale Dynamik (...) integrierte den sozialistisch
geprägten Arbeiter, den Handwerker, den kleinen Angestellten, die
sich alle zusammen soziale Anerkennung und bessere Lebenschancen für
ihre Kinder erhofften. (...) Dazu stießen jene, die bereits von der
Bildungsreform der Weimarer Republik profitiert hatten und den
sozialen Aufstieg fortsetzen wollten."
Sie sollen dann auch ganz im Sinne der nazistischen
Umverteilungsdoktrin all die Verbrechen gegen Juden, Zigeuner und
Kriegsgefangene etc. begangen haben - und natürlich haben sie in
erster Linie davon profitiert. "Das alles wurde nicht zum Vorteil
von Junkern und Monopolisten geplant, sondern als konkrete Utopie
für einfache Deutsche".
Wenn Herr Gustav Seibt in einer Laudatio auf Götz Aly (03.05.2002)
im allgemeinen noch von einem "klassen- und milieuübergreifenden
Zustimmungsgrad" in der Bevölkerung spricht, was nachvollziehbarer
wäre, scheint es für Herrn Götz Aly schon eine ausgemachte Sache zu
sein. "Die NSDAP- und SS-Führer waren Leute aus dem (einfachen)
Volk. (...) Die NS-Führer waren großteils den zweiten Bildungsweg
gegangen, hatten sich als Autodidakten hochgearbeitet..." Für Herrn
Götz Aly ein sicheres Indiz für eine Verbrecherkarriere. Dafür
sprechen dann ja auch nach Herrn Alys Meinung deren
"lebensgeschichtlichen Erfahrungen", die "denen von Willy Brand,
Gerhard Schröder oder Erich Honecker" gleichen.
Im allgemeinen stellt Herr Aly fest: "Das programmatische Ziel, in
Deutschland mehr Chancengleichheit zu wagen, war der NSDAP ein
ernsthaftes Anliegen." Und um auf die lebensgeschichtlichen
Erfahrungen hinzuweisen: Willy Brand sprach Jahrzehnte später von
"mehr Demokratie wagen." Für Herrn Götz Aly wohl eine
verbrecherische Tat von Emporkömmlingen. Das Verbrechen per se,
welche andere Untaten des NS-Regimes in den Schatten stellt.
Herr Götz Aly ist aber noch lange nicht am Ende.
Es ist ja nicht nur die Begünstigung "sozial benachteiligten
Kinder", welche er beklagt, auch die "Rentenerhöhung für
Kleinrentner" und die Enteignungen wohlhabender Menschen zu Gunsten
der kleinen Leute waren die Bonbons, welche die Nationalsozialisten
verteilten, um sich der "politischen Loyalität" der Bevölkerung
sicher zu sein.
Herr Götz Aly stellt sich die Frage: "Mit welchen materiellen
Stimuli wurden die Deutschen bei Laune gehalten?" Für ihn ist erst
einmal klar, dass "die Steuerfreiheit für die Arbeit an Sonn- und
Feiertagen und die Lebensmittelzuteilung für Otto und Erna
Normalverbraucher im Zweiten Weltkrieg viel näher an die
verbrecherische Dynamik des nationalen Sozialismus (die Betonung
liegt auf Sozialismus) führt als die Untersuchung der
Lebensversicherungspolicen von Allianz und Generali".
Allgemein spricht er von der spezifischen "sozialen Wärme" der
NS-Diktatur, erreicht mit den Mitteln ihrer Umverteilungspolitik.
Diese garantierte sodann für alles darauffolgende, einschließlich
der Massenmorde an Sinti und Roma, an Juden etc., die
Massenzustimmung des gemeinen Volkes. Eine "Regierungstechnik", "die
sich in einem hohen Maße aus dem Ausbau von Sozialleistungen und
durch Umverteilung von oben nach unten legitimiert".
Eine bessere argumentative Entlastung für die Verbrechen, konnten
sich selbst die Anwälte vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal
nicht einfallen lassen, um ihre Mandanten vor dem Strick zu retten.
Verschleppung und Massenmord als eine Art Nützlichkeitsaltruismus -
zum Wohle und mit ausdrücklicher Genehmigung des einfachen Volkes.
Einfacher kann man es nicht haben. Ähnliche Passagen gibt es zu Hauff
in den Darstellungen des Herrn Götz Aly. Viel zu viele, um auf jede
einzelne einzugehen. Im Wortlaut ähneln sie den schon von mir
erwähnten.
Es fällt noch der Kontrast zu allem, der das schon gesagte noch
deutlicher hervorhebt. Es werden nicht nur die Parvenüs erwähnt,
welche an allem Schuld sind. Wenn Herr Götz Aly an die Opfer denkt,
benennt er im Anhang die europäischen Juden, die Zwangsarbeiter und
die Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern. Doch um sie ging es
nur vordergründig, den laut Herrn Aly, "brach der Begriff Rasse nur
den Begriff Klasse". Es galt nicht, die "Juden als solche" zu
vernichten. Vielmehr war es ihr "bourgeoiser Lebenswandel" , der so
gar nicht zum "Klassencharakter des nationalen Sozialismus" passen
wollte und den man samt ihrer Trägerschaft ausmerzen wollte.
Das der Antisemitismus eine lange Vorgeschichte hat und geistige
Tradition unter den Gebildeten schon seit langem war, erwähnt Herr
Götz Aly nicht. Scheint diese Tatsache der Erkenntnis eines
Historikers unwürdig? Dies als ein sozialstaatlich konzipiertes
Faktum darzustellen ist zynisch und verkennt den
ideengeschichtlichen Hintergrund. Dennoch sieht Herr Götz Aly in der
"Zuspitzung (...) nationalsozialistischer Vernichtungsutopien und
-realitäten (...) das umfassendere Ziel einer Endlösung der sozialen
Frage", weniger eine Form von Antisemitismus.
Die Begründung und Rechtfertigung für den Massenmord an Juden,
Zigeunern, Homosexuellen und nicht zuletzt an Behinderten, lieferten
diverse Theorien über den Menschen, die Geistes- und
Sozialwissenschaftler ersannen und die in bourgeoisen Kreisen großen
Anklang fanden. Nicht zuletzt waren diese Überzeugungen von der
Höher- bzw. Minderwertigkeit von Menschen im allgemeinen und Rassen
insbesondere, ideologischer und programmatischer Bestandteil der
NS-Politik. (Hierzu wäre es ratsam, auch einmal andere Perspektiven
einzunehmen in der Betrachtung derartiger Probleme. Lesenswert wäre
u.a. das Buch von Stephan L. Chorover: "Die
Zurichtung des Menschen - Von der Verhaltenssteuerung durch die
Wissenschaft", Fischer 1985; Lilli Segal:
"Die hohen Priester der Vernichtung", 1991; Jochen-Christoph Kaiser
et al.: "Eugenik, Sterilisation, Euthanasie", 1992)
Will man den geistesgeschichtlichen Hintergrund beleuchten, so
könnte ich hier zwanzig Bücher vorstellen, die sich ebenfalls mit
diesem Problem auseinandersetzen, aber in einer etwas
differenzierteren Weise als es Herr Götz Aly tut. (U.a.: George L.
Mosse: "Die Völkische Revolution", 1991; Wilfried Daim: "Der
Mann, der Hitler die Ideen gab", 1991; Buchard Brentjes: "Der
Mythos vom Dritten Reich", 1997; Wilhelm Reich: "Die
Massenpsychologie des Faschismus", 1985 und zuletzt Bernhard H.F.
Taureck: "Nietzsche und der Faschismus", 1989; obwohl es allein Nietzsche nicht
anzulasten wäre. Was haben die Bildungsbürger aus seinem Nachlass
für sich verwertet?)
Wollte man nun auch noch die soziologische Dimension dieser
Problematik beleuchten, so säße ich noch morgen früh hier. Zu nennen
wären u.a. Das Milgram - und Stanford Experiment, "Die Anatomie der menschl. Destruktivität" von Erich Fromm und Raul Hilbergs strukturfunktionalistische Analyse der schrittweisen
Vernichtung des europäischen Judentums.
Um Herrn Götz Alys einseitige Täterfixierung etwas entgegenzuhalten,
wäre auch Robert Michels Buch ratsam: "Masse, Führer,
Intellektuelle", 1987 oder: "Wer war wer im Dritten Reich?" von
Robert Wistrich, 1987 zu lesen. (Hier geht es auch um
die Dienstbarkeit der Intellektuellen im Interesse der
Herrschenden.)
Erschöpfend, aber notwendig angesichts der medien- und
zeitgeistgerechten plakativen Darstellungen des Herrn Götz Aly. Die
Frage stellt sich mir, wohin sich die Blicke des Herrn Götz Ali
wenden, wenn er das Böse sucht und auch hofft zu finden? Vieles
spielt sich ab vor dem Hintergrund des Aufstandes und der Reaktion,
und in der Tat sind es die einen und vielen. Schuld verbleibt beim
Schuldgefühl und bei denen, die eines haben oder anerzogen bekommen.
Alles im Sinne der Herrschenden und ihrer Meinungsträger. Opfer
spielen da immer eine ganz besondere Rolle. Sie verbleiben nicht der
persönlichen Scham oder Reue einzelner, kollektiv dienen sie der
Bereitschaft und des Durchhaltewillens. Die Drops für harte Zeiten.
Opfer zu sein, wird auch fast jedem zugemutet. Nur das
rationalisierende Heldentum (Robert Musil: "Der Mann ohne
Eigenschaften", 3. Kap.) darf sich einer privilegierteren Sonderstellung gewiß sein - mit all dem Pathos.
Für Herrn Götz Aly sind es die Reichen und die Unternehmer, mit
denen nicht nur die Regierung Hitler weit weniger zartfühlend
umging. Vergleiche zur gegenwärtigen Regierungspolitik der
rot-grünen Koalition sind da schnell zur Hand. "Die Konjunktur des
Sozialstaates war in Deutschland mit dem Nationalsozialismus nicht
vorbei. (...) Auch die heutige Regierung vertritt das Volkswohl", so
Herr Aly.
Aber auch hier darf sich niemand auf der sicheren Seite wähnen.
Getreu dem Motto unserer Tage darf sich ein Arbeiter nicht mehr im
Grünen sonnen, einen Arztbesuch wird er sich auch nicht mehr leisten
dürfen, ein Rentenanspruch besteht erst nach seinem
erfolgversprechendem Ableben. Aus ist es mit den Vorzügen des
Sonnenstaates aus vergangenen Tagen. Feiertage nur noch für die Sonnenkönige und Arbeit für das Gesindel.
"Das unterscheidet demokratische Regierungen von totalitären. (...)
Demokraten können umsteuern". Schluss mit den
Familienunterhaltszahlungen, den Sold- und die Fleischrationen.
Steuern werden erhoben für den kleinen Mann und sein Sparguthaben in
Globalisierungsanleihen mit Endloslaufzeit umgewandelt. Und wehe,
wenn ihr uns die Gefolgschaft aufkündigt. Das zu verhindern, ist uns
jedes Mittel recht. Notfalls nachsitzen bei Herrn Götz Aly. Der wird
euch wieder die Tugenden der Diener Gottes nahebringen. Er erzeugt
ständig die Lust nach mehr - nach mehr Arbeit unter Schweiß und
Tränen. Lasst euch vom Herrn Professor als Tränensäcke beschimpfen,
welche ewig verweilen wollen im Jammertal Deutschland.
Sozialgeschichtlich werdet ihr schon in zwanzig Jahren mehr arbeiten
als ihr verdienen dürft. Es gilt dann das Lohnabstandsgebot: Wer
nicht arbeitet, kriegt nichts zu fressen. Und eine Schlafstelle
schon gar nicht. Gehört ihr dann zu den überlebenden Opfern einer
zunehmenden Radikalisierung des Apparates, dürft ihr unseres
Mitgefühls sicher sein.
Auch ich verstehe es, meine "unverkennbare Gutartigkeit zuweilen in
eine etwas sarkastische, stachlige Attitüde zu kleiden". Vielleicht
muss ich auch eingestehen, etwas von der "Kaltherzigkeit,
Selbstgerechtigkeit und ideologischen Hemmungslosigkeit" zu
besitzen, die Herrn Prof. Götz Aly so selbstverständlich und
gutgemeint zukommt?
Mag sein, dass sich die Ausführungen des Herrn Götz Aly "vom
branchenüblichen moralisierenden Tremolo" unterscheiden, sein
Pathos, gekleidet in einer fast undurchdringlichen "Faktendichte"
verrät eine Sprache, die den Unmenschen unserer Tage kennzeichnet.
Es ist das Vorführen einer daten- und faktengestützten Kunstlehre,
die inzwischen viele beherrschen und die in der Tat zu dem neuen
Paradigmenwechsel in den Auffassungen von Mensch und Gesellschaft
beitragen. Gerade in der interpretatorischen Vielfalt sind sie alles
andere als wertfrei. Sie sind das neue Konterfei, auf dem sich das
Ideologische neu abbildet. Herr Götz Aly transportiert hinlänglich
bekannte Einsichten über den Umweg eines quasi neuen
Geschichtsverständnisses. Die Übeltäter - damals wie heute - sind
die kleinen Leute und deren maßlosen Ansprüche an soziale
Transferleistungen des Staates. Verbrechen des Staates ist es, alles
mögliche zu tun, um dem Rechnung zu tragen. Alles, um das Wollwollen
von Erna und Otto Normalverbraucher zu gewinnen und sich dessen auch
in Zukunft sicher zu sein. In der Mehrzahl sind das natürlich die
meisten Wählerstimmen. Und was der Staat für die nicht alles tut.
Alles natürlich zu Lasten von Reichen, Unternehmern, Hauseigentümer,
Großaktionäre und Professoren.
Aus einem theoretisierenden Systemverbesserer wurde ein Erzieher, der
mit Einfühlung und nicht ohne Strenge seine Zöglinge dazu brachte,
etwas Besseres aus ihrem Leben zu machen. Nun ist ihm alles zuwider
- die ganze Sozialromantik vergangener Epochen. Ist es, was ihn doch
eigentlich nichts mehr angeht und von dem er sich freimachen konnte.
Dies erst ermöglicht den freien Blick in eine ganz andere Richtung.
Folge sind ganz neue Interpretationsversuche. Darin war man ja -
gerade als Alt-68er immer stark. Wortgewalt als Ausfluss purer
Hilflosigkeit gegen die Wirkmächtigkeit der herrschenden
Politikverhältnisse verkehrt sich in Hasstiraden gegen die
vermeintlich Unterprivilegierten, die es heute dank Sozialtransfers
nicht mehr sind. Gegen ihre Ansprüche muss sich der bekehrte
Revoluzzer und heutige Hochschullehrer zu Wehr setzen. Sind es doch
diese maßlosen Ansprüche des Proleten, der seine materielle Basis
gefährdet. Wenigstens in der Bildung hat man sie - dank des
dreigliedrigen Schulsystem und der frühzeitigen Auslese in der
Grundschule - von den Büfetts der feinen Gesellschaft fernhalten
können. Der Zweite Bildungsweg ist doch ohnehin nur die
institutionalisierte "Illusion von Chancengleichheit" (P.Bourdieu)
und dient als Alibi angeblich fortschrittlicher Bildungspolitik.
Ja, wir haben von dem "methodischen Humanismus" des nationalen
Sozialismus viel gelernt - freiwillig und unfreiwillig. Der
Staatssozialismus der Demokratischen Republik war da nicht
schlechter als wir, nur deren pathetisch überhöhten
Nützlichkeitsaltruismus fand schneller sein Ende. Nun ist das
widervereinte Deutschland an der Reihe. Nur sind es diesmal nicht
die Mächtigen in Politik und Wirtschaft, die vor dem Volk
kapitulieren müssen, sondern Erna, Otto, Uwe und Thorsten
Normalverbraucher.
"Sie betrieben nur allzu lang die nachpubertäre Identitätssuche im
Vollgefühl [sozialstaatlicher Omnipotenz]. Ihnen fehlte die
Sozialisationsinstanz Anpassung. Anpassung an härtere Zeiten." Auf
der Basis von "mehr nehmen als geben" errichteten die
sozialdemokratischen Emporkömmlinge einen "Umverteilungsstaat par
excellence." "Der (vermeintliche) Untergang zeigt den Potentaten
Gerhard Schröder in einer für ihn untypischen Situation des
Scheiterns. (...) "Dank der (Globalisierung) hat er jeden
Handlungsspielraum eingebüßt."
Nun sind wir freiberuflichen und verbeamteten "global player" am
Zuge.
"Interessant ist nur, wie und warum (wir) für die (gemeinen)
Deutschen zu Medien des politischen Willens wurden?" Niklas Luhmann
könnte es uns sicher erklären. Herr Götz Aly wird es uns erklären.
Zur rechten Zeit und zur passenden Gelegenheit.
(c) Frank Maywald
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