Gastbeitrag: Dipl.-Geogr.
Johannes Winter |
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6. Entwicklung bedeutet Nachhaltigkeit - Die stärkere
Einbeziehung möglicher Folgen eigenen Handelns in den 1990er Jahren
6.1. Zur Entstehung des Nachhaltigkeitsbegriffes
Die Entwicklungspolitik der 1990er Jahre nahm einige zentrale
Aspekte der vorangegangenen Dekade - zu denen die
Strukturanpassungsversuche und die Entschuldungsinitiativen zählten
- wieder auf, setzte jedoch einen neuen thematischen Schwerpunkt:
Die stärkere Einbeziehung und Betonung einer nachhaltigen Lebens-
und Wirtschaftsweise.
Fragen nach dem Umgang mit den vorhandenen Ressourcen, der Art und
Weise des Zusammenlebens von Gesellschaften, Kulturen und
Interessensgruppen, der Distribution von Macht, Wohlstand und
Gunsträumen und den damit korrelierenden Auswirkungen unseres
Verhaltens auf künftige Generationen rückten bereits 1987 mit der
Veröffentlichung des sogenannten "Brundtland-Berichts" [64] stärker
in den Vordergrund. Darin heißt es: "Sustainable development is
development that meets the needs of the present without compromising
the ability of future generations to meet their own needs. (...)
Thus the goal of economic and social development must be defined in
terms of sustainability in all countries - developed or developing,
market-oriented or centrally planned" (WCED, 1987: 43).
Die außerordentliche Bedeutung dieser Definition liegt in ihrem
ausdrücklichen Verweis auf die Verantwortung, die die jetzigen
Generationen gegenüber den folgenden besitzen. Die in der Gegenwart
eingeleiteten Strukturmaßnahmen prägen die Entwicklung zukünftiger
Generationen, was impliziert, dass die entstandenen Gegebenheiten in
der Zukunft unwiderruflich sein können. Daher sind die Völker und
Staaten der Erde, ob hochentwickelt oder auf dem Weg dorthin, ob
marktorientiert oder planwirtschaftlich ausgerichtet, dazu
verpflichtet, den kommenden Generationen jene Strukturen zu
hinterlassen, die es ihnen ermöglichen, ihre Bedürfnisse zu
befriedigen und ihren Lebensstil frei zu wählen.
Der "Brundtland-Bericht" erkannte bereits, was fünf Jahre später in
der Agenda 21 erneut aufgegriffen wurde: "Development involves a
progressive transformation of economy and society" (WCED, 1987: 43).
Entwicklung bedeutet folglich nicht nur Modernisierung und Wachstum,
sozioökonomische und politische Unabhängigkeit oder Dissoziation,
Strukturanpassung und Konsolidierung; Entwicklung impliziert einen
Veränderungsprozess in der Gesellschaft - der beispielsweise auf ein
bewussteres Konsumverhalten abzielt - mit der Intention, die
jetzigen Denk- und Handlungsweisen nachhaltiger zu gestalten und
damit auch den künftigen ein stabiles Fundament zu liefern.
6.2. Die Agenda 21 und ihre Bedeutung für die Entwicklungspolitik
Die Agenda 21 wurde im Juni 1992 auf der "Konferenz der Vereinten
Nationen für Umwelt und Entwicklung" (United Nations Conference on
Environment and Development / UNCED) in Rio de Janeiro
verabschiedet. Der sogenannte "Earth Summit" thematisierte die
globalen ökonomischen, soziokulturellen und ökologischen Probleme.
Er lieferte mit der Agenda 21 ein umfangreiches Dokument, dass die
Handlungsgrundlagen erörterte, die Ziele einer nachhaltigen
Entwicklung erläuterte und entsprechende Maßnahmen und Instrumente
vorschlug. Kurzum: "In der Agenda 21 werden die dringlichsten Fragen
von heute angesprochen, während gleichzeitig versucht wird, die Welt
auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorzubereiten.
Die Agenda 21 ist Ausdruck globalen Konsenses und einer politischen
Verpflichtung auf höchster Ebene zur Zusammenarbeit im Bereich von
Entwicklung und Umwelt" (UNCED 1992: Kapitel 1.3).
Der angesprochene globale Konsens [65] bezog sich u.a. auf die
Bekämpfung der weltweiten Armut, der das Kapitel drei innerhalb der
Agenda 21 gewidmet wurde. Der Programmbereich "Nachhaltige Sicherung
der Existenzgrundlagen armer Bevölkerungsschichten" ist im Folgenden
in seinem originalen Wortlaut auszugsweise aufgeführt:
Abb. 3: Kapitel 3 der Agenda 21 der UN-Konferenz für Umwelt und
Entwicklung (3.-14.6.1992) in Rio de Janeiro
Kapitel 3: Armutsbekämpfung
Programmbereich: Nachhaltige Sicherung der
Existenzgrundlagen armer Bevölkerungsgruppen
Handlungsgrundlage
3.1. Die Armut stellt ein komplexes, vielschichtiges
Problem dar, dessen Ursachen sowohl im nationalen wie auch im
internationalen Bereich angesiedelt sind. Es gibt keine
einheitliche Lösung, die sich für eine weltweite Anwendung
eignet. Statt dessen sind länderspezifische Programme zur
Bekämpfung der Armut und internationale Bemühungen zur
Unterstützung nationaler Anstrengungen sowie ein parallel dazu
laufender Prozeß der Schaffung günstiger internationaler
Rahmenbedingungen grundlegende Voraussetzungen für die Lösung
dieses Problems. Die Ausrottung von Armut und Hunger, eine
größere Ausgewogenheit der Einkommensverteilung und die
Erschließung und Weiterentwicklung menschlicher Ressourcen
bleiben weiterhin die größten Herausforderungen überall auf
der Welt. Der Kampf gegen die Armut liegt in der gemeinsamen
Verantwortung aller Länder.
3.2. Trotz nachhaltiger schonender
Ressourcenbewirtschaftung muß eine Umweltpolitik, die in
erster Linie auf die Erhaltung und den Schutz der Ressourcen
ausgerichtet ist, auch in gebührender Weise auf diejenigen
Menschen Rücksicht nehmen, die zur Sicherung ihrer Existenz
auf diese Ressourcen angewiesen sind. Andernfalls könnte eine
solche Politik nachteilige Auswirkungen sowohl auf die Armut
als auch auf die Chancen für eine auf lange Sicht erfolgreiche
Ressourcen- und Umwelterhaltung haben. Ebenso wird eine
Entwicklungspolitik, deren primäres Ziel die Steigerung der
Güterproduktion ist, ohne daß sie dabei die Schonung der für
diesen Zweck benötigten Ressourcen im Auge hat, früher oder
später zu einem Rückgang der Produktivität führen, was sich
wiederum ebenfalls negativ auf die Armut auswirken könnte.
Eine konkrete Strategie zur Armutsbekämpfung ist daher eine
der Grundvoraussetzungen für eine gesicherte nachhaltige
Entwicklung. Eine wirksame Strategie, mit deren Hilfe Armuts-,
Entwicklungs- und Umweltprobleme zur gleichen Zeit angegangen
werden können, soll sich zuerst schwerpunktmäßig mit den
Ressourcen, der Produktion und den Menschen befassen und
Bevölkerungsfragen, eine bessere Gesundheitsversorgung,
Bildung und Erziehung, die Rechte der Frau, die Rolle der
Jugend und die der indigenen Bevölkerung sowie die örtlichen
Gemeinschaften und einen demokratischen Beteiligungsprozeß in
Verbindung mit guter Regierungsführung mit einbeziehen.
3.3. Integrale Bestandteile eines solchen Vorgehens sind
neben der internationalen Unterstützung die Förderung des
Wirtschaftswachstums in den Entwicklungsländern in einer
Weise, die sowohl dauerhaft als auch nachhaltig ist, ebenso
wie direkte Maßnahmen zur Ausrottung der Armut durch Schaffung
neuer Beschäftigungsmöglichkeiten sowie durch
einkommenschaffende Programme.
Ziele
3.4. Das langfristig angestrebte Ziel, alle Menschen in die
Lage zu versetzen, ihre Existenz nachhaltig zu sichern, soll
als integraler Faktor dienen, der es ermöglicht, auf
politischer Ebene Fragen der Entwicklung, der nachhaltigen
Ressourcenbewirtschaftung und der Armutsbekämpfung
gleichzeitig anzugehen. Die Ziele dieses Programmes lauten wie
folgt:
a). allen Menschen mit besonderer Vordringlichkeit die
Möglichkeit zur nachhaltigen Sicherung ihrer Existenz zu
geben;
b). eine Politik und Strategien umzusetzen, die eine
ausreichende Bereitstellung von Finanzierungsmitteln fördern
und sich schwerpunktmäßig mit integrierten Strategien zur
Entwicklung der menschlichen Ressourcen befassen, wozu auch
die Schaffung von Einkommen, eine vermehrte Kontrolle über die
Ressourcen auf lokaler Ebene, die Stärkung örtlicher
Institutionen und der Stärkung der personellen und
institutionellen Kapazitäten sowie die stärkere Einbeziehung
von nichtstaatlichen Organisationen und kommunalen
Verwaltungsbehörden als Zuträger gehören;
c). für alle von Armut betroffenen Gebiete integrierte
Strategien und Programme für einen vernünftigen und
nachhaltigen Umgang mit der Umwelt, für die Mobilisierung
finanzieller Ressourcen, die Überwindung und Bekämpfung der
Armut sowie die Schaffung von Beschäftigungs- und
Verdienstmöglichkeiten zu entwickeln;
d). in nationalen Entwicklungs- und Haushaltsplänen einen
Schwerpunkt bei Investitionen in das Humankapital zu setzen,
mit speziellen politischen Konzepten und Programmen für den
ländlichen Raum, städtische Armutsgruppen, Frauen und Kinder.
Maßnahmen
3.5. Die Maßnahmen, die zur integrierten Förderung einer
nachhaltigen Existenzsicherung und eines nachhaltigen
Umweltschutzes beitragen, umfassen eine Vielzahl sektoraler
Eingriffe unter Beteiligung der verschiedensten
Handlungsträger von der lokalen bis zur globalen Ebene und
sind auf jeder dieser Ebenen unverzichtbar, insbesondere der
kommunalen und lokalen Ebene. Es bedarf nationaler und
internationaler Fördermaßnahmen, in denen die regionalen und
subregionalen Gegebenheiten voll und ganz berücksichtigt
werden, um ein vor Ort gesteuertes und auf das jeweilige Land
zugeschnittenes Konzept zu entwickeln. Allgemein gesprochen
sollen die Programme
a). sich schwerpunktmäßig mit der Stärkung der Rolle
lokaler und kommunaler Gruppen durch das Prinzip der
Delegierung von Befugnissen, Verantwortlichkeiten und
Ressourcen auf die am besten dafür geeignete Ebene befassen,
um sicherzustellen, daß das Programm den geographischen und
ökologischen Gegebenheiten angepaßt ist;
b). Sofortmaßnahmen enthalten, um diese Gruppen in die Lage
zu versetzen, die Armut zu bekämpfen und eine größere
Nachhaltigkeit zu erzielen;
c). eine Langzeitstrategie enthalten, deren Ziel die
Schaffung optimaler Bedingungen für eine nachhaltige lokale,
regionale und nationale Entwicklung ist und mit deren Hilfe
die Armut ausgerottet und die Ungleichheit zwischen
unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgeglichen würden. Sie
soll die am stärksten benachteiligten Gruppen - insbesondere
Frauen, Kinder und Jugendliche innerhalb dieser Gruppen -
sowie Flüchtlinge unterstützen. Zu diesen Gruppen gehören auch
arme Kleinbauern, Hirten, Handwerker, Fischergemeinschaften,
Landlose, indigene Bevölkerungsgruppen, Wanderarbeiter und der
informelle städtische Sektor.
(...)
Instrumente zur Umsetzung
(a) Finanzierung und Kostenabschätzung
3.11. Die durchschnittlichen jährlichen Gesamtkosten
(1993-2000) für die Durchführung der im vorliegenden
Programmbereich genannten Maßnahmen werden vom Sekretariat der
UNCED auf etwa 30 Milliarden Dollar veranschlagt,
einschließlich etwa 15 Milliarden Dollar, in Form an
Zuschüssen oder in Form konzessionärer Kredite von der
internationalen Staatengemeinschaft. Es handelt sich dabei nur
um überschlägige, von den betroffenen Regierungen noch nicht
überprüfte Schätzungen der Größenordnung. Diese Abschätzung
überschneidet sich mit Abschätzungen in anderen Teilen der
Agenda 21. Die tatsächlichen Kosten und die
Finanzierungsbedingungen - auch etwaige nichtkonzessionäre -
hängen unter anderem von den konkreten Umsetzungsstrategien
und -programmen ab, die von den Regierungen beschlossen
werden.
(b) Stärkung der personellen und
institutionellen Kapazitäten
3.12. Die Schaffung nationaler Kapazitäten für
die Durchführung der obengenannten Maßnahmen ist von
entscheidender Bedeutung und bedarf einer vorrangigen
Behandlung. Besonders wichtig ist dabei, daß der Schwerpunkt
auf dem Stärkung der personellen und institutionellen
Kapazitäten auf der Ebene der örtlichen Gemeinschaft liegt,
damit ein von dort aus gesteuertes Nachhaltigkeitskonzept
unterstützt und Mechanismen geschaffen und gestärkt werden,
die den Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen zwischen
Gemeindegruppen auf nationaler und internationaler Ebene
ermöglichen. Der Bedarf an solchen Aktivitäten ist
beträchtlich und ist in Verbindung mit den verschiedenen
relevanten Bereichen der Agenda 21 zu sehen, die
entsprechender internationaler finanzieller und
technologischer Unterstützung bedürfen.
Quelle: Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit 1997:
http://www.oneworldweb.de/agenda21/welcome.html
Vollständige Version unter: Bayrisches
Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen:
http://www.umweltministerium.bayern.de/agenda/agenda21/rio/index.htm |
Die Resonanz auf die Agenda 21 war außerordentlich groß. Die
Tatsache, dass bis auf wenige Ausnahmen die Staaten der Erde zu
einem Konsens gefunden hatten, der die globalen ökologischen und
sozialen Gefahren ansprach und sie anzugehen versuchte, waren
bereits als großer Erfolg zu werten. Die Agenda 21 trug dazu bei,
dass die Auseinandersetzung mit Themen wie der globalen
Klimaveränderung, der Zunahme der Weltbevölkerung und der
umweltbedingten Bedrohung des Lebensraumes in ein stärkeres
öffentliches Bewusstsein rückte. In den Jahren nach dem "Erdgipfel"
von 1992 entstanden neue Initiativen und Organisationen auf
Regierungs- und Nicht-Regierungsebene, die sich auf verschiedenste
Weise mit globalen Zukunftsfragen beschäftigten und sich
gleichzeitig für die Umsetzung der Agenda 21 einsetzten.
Die öffentliche Anteils- und Einflussnahme wurde notwendig - wie
sich in der Folgezeit herausstellte -, da auch die UN-Konferenz in
Rio de Janeiro offenbart hatte, dass die eigentlichen Probleme in
der Durchführung und Umsetzung der Agenda 21 bestanden. Die
grundsätzliche Bereitschaft zur nachhaltigen Entwicklung
beizutragen, sie zu fördern, ist weltweit wahrzunehmen. Allerdings
scheitern die Versuche häufig daran, dass die notwendigen
Strukturreformen auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
nicht entsprechend durchgeführt werden. Sobald eine
Interessensgruppe direkt von den im Rahmen der Agenda 21
ausgehandelten Maßnahmen betroffen ist, schwindet die Bereitschaft,
die Entscheidung zu einem zukunftsorientierten Handeln im Sinne der
Nachhaltigkeit mitzutragen. Eine nachhaltige Entwicklung kann
allerdings nur dann gelingen, wenn durch gezielteres
Konsumverhalten, Selbstbeschränkung, Verzicht und die Bereitschaft,
die entstehenden Mehrkosten zu tragen, ein aktiver Beitrag von
sämtlichen gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden geleistet wird.
Die Motivation dafür liegt nicht allein in der Verantwortung
ethischen Handelns oder politischer Vernunft, sondern in erster
Linie in der Erkenntnis, dass sich - wie eingangs erwähnt - die
Probleme nicht nur dort auswirken, wo sie entstehen. Die
Wohlstandsinseln werden sich nicht halten können, wenn ihre Bewohner
und Nutznießer die Armut und Umweltzerstörung außerhalb ihres
Handlungs- und Lebensraumes unberücksichtigt lassen.
Bezüglich der Aufgabenverteilung im Umsetzungsprozeß legt die Agenda
21 fest: "Ihre erfolgreiche Umsetzung ist in erster Linie Aufgabe
der Regierungen. Eine entscheidende Voraussetzung dafür sind
politische Konzepte, Pläne, Leitsätze und Prozesse auf nationaler
Ebene" (UNCED 1992: Kapitel 1.3). Diese Forderung richtet sich
einerseits an die einzelnen souveränen Staaten, andererseits an
Staatengemeinschaften wie die Europäische Union sowie multilaterale
Organisationen (z.B. Vereinten Nationen und ihre
Sonderorganisationen). Unter Berücksichtigung der Subsidiarität
sollen nur jene Handlungsfelder auf internationaler Ebene angegangen
werden, die auf nationaler Ebene nicht oder nur auf unbefriedigende
Weise umsetzbar sind. Dazu zählen beispielsweise globale
Klimaschutzverordnungen bezüglich der CO2-Emissionen, der
Waldzerstörung und der Desertifikation sowie globale
Wirtschaftsabkommen (UNCTAD, WTO) mit entsprechender
Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte der
Nachhaltigkeit.
Von Bedeutung wird sein, inwieweit die Umsetzung der Agenda 21 der
"UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung" einerseits statistisch
messbar, andererseits international kontrollier- und sanktionierbar
ist. Im Jahre 1995 verabschiedete die "UN-Kommission für nachhaltige
Entwicklung" (UN-Commission on Sustainable Development / CSD) ein
Indikatorenprogramm, welches anhand von statistischen Kenndaten die
ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Gegebenheiten
versucht zu messen. Diesbezüglich wurde vom 23. - 28. Juni 1997 die
19. Sondertagung der "UN-Generalversammlung zur Gesamtüberprüfung
und -bewertung der Umsetzung der Agenda 21" in New York ("Earth
Summit+5") abgehalten. Die Delegierten der 165 vertretenen Länder
verabschiedeten ein Abschlussdokument, welches als Manifestation der
Agenda 21 zu werten war, nicht jedoch als ihre inhaltliche
Fortsetzung und Weiterentwicklung. Der "Earth Summit+5" lieferte
weder konkrete Ziele noch übte er Kritik am bisherigen Vorgehen [66].
Es gelang nicht, die bisher eingeleiteten Maßnahmen und gewählten
Strategien zur Umsetzung der Agenda 21 zu "überprüfen und zu
bewerten", sondern lediglich das fünf Jahre zuvor Beschlossene zu
manifestieren. Es zeigte sich, dass ein einziges Dokument, selbst
wenn es auf einem globalen Konsens basiert, nicht in der Lage war,
die divergierenden Interessen und Vorstellungen von Nachhaltigkeit
in Wirtschaft, Politik, Ökologie und Gesellschaft zusammenzuführen
und damit das Fundament für eine nachhaltige und zukunftsorientierte
Entwicklung zu schaffen.
Die Agenda 21 ist ein Ausdruck globalen Willens, die Erde auch über
das 21. Jahrhundert hinaus bewohnbar und bewohnenswert zu gestalten.
Allerdings widerspricht sie in weiten Teilen dem derzeitigen
Verständnis politischen und wirtschaftlichen Handelns. Der sowohl in
hochentwickelten Ländern als auch in vielen Entwicklungsländern auf
Druck von Weltbank und IWF praktizierte Konsolidierungskurs des
Staatshaushaltes erfasste in der Vergangenheit v.a. besonders
sensible Bereiche. Die Einsparungen im Gesundheits- und
Bildungswesen sowie im Umweltschutz bedeuteten eine zusätzliche
Gefahr für die Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung. Die
Unwissenheit über die Folgen des eigenen Handelns, die
Vernachlässigung gemeinnützigen Denkens und Handelns zugunsten
eigenen Macht- und Wohlstandszuwachses und der allgemeine Zustand
der Not in zahlreichen Entwicklungsländern erhöhen das Risiko, die
Umwelt nachhaltig, d.h. irreversibel, zu schädigen.
Das dadurch nicht nur die natürliche Lebensgrundlage entscheidend
verändert wird, sondern auch für jeden Einzelnen in Gefahr gerät,
erkannte bereits der vom damaligen UN-Generalsekretär Boutros
Boutros-Ghali erstellte Bericht, "Agenda für Entwicklung"
(A/48/935), der auf der 48. UN-Generalversammlung am 6.5.1994
vorgestellt wurde. Darin heißt es: "Die Umweltzerstörung führt zu
einer Minderung der Qualität und der Quantität vieler Ressourcen,
die von den Menschen direkt genutzt werden. Wird der Zerstörung der
natürlichen Ressourcen nicht die nötige Beachtung geschenkt, können
sich die Folgen als katastrophal erweisen. Die Wasserverschmutzung
schädigt die Fischereiwirtschaft. Die Versalzung und die Erosion des
Mutterbodens reduzieren die Ernteerträge. Die Degradation der
Landwirtschaft und die Entwaldung haben zu Dürre und Bodenerosion
beigetragen und dazu geführt, dass Mangelernährung und
Hungerkatastrophen in bestimmten Regionen immer häufiger auftreten.
Überfischung und die Erschöpfung der Meeresressourcen gefährden
alteingesessene Gemeinschaften. Die exzessive Abholzung und die
Zerstörung der Regenwälder haben zum Verlust wichtiger natürlicher
Lebensräume geführt und die biologische Vielfalt der Welt
verringert. Umweltschädliche Methoden der Gewinnung natürlicher
Ressourcen haben dazu geführt, dass große Regionen brach liegen und
verseucht sind. Am beunruhigendsten ist, dass die Zerstörung in
einigen Fällen irreversibel sein kann. Es gilt, dringend
aufzuzeigen, welche Handlungsweisen der Gesundheit unseres Planeten
bleibenden Schaden zufügen. Solchen Handlungsweisen ist Einhalt zu
gebieten. (Agenda für Entwicklung 1994: C 72f.).
Für die Umsetzung der globalen Vereinbarungen und Zusicherungen
wirkt sich hinderlich aus, dass weder die Vereinten Nationen noch
Nicht-staatliche Organisationen (NGO's) den Handlungsspielraum
besitzen, um nationale Regierungen oder Staatengemeinschaften dazu
zu bewegen, ihre verbindlichen Zusagen (vgl. Agenda 21) tatsächlich
umzusetzen. Daher ist es um so wichtiger, dass das Bewusstsein für
ein nachhaltiges Denken und Handeln in der Gesellschaft eines jeden
Landes erhöht und damit Druck auf die entsprechende nationale
Regierung ausgeübt werden muss. Es muss deutlich werden, dass die
Natur die Quelle von Existenz, Subsistenz und Wohlstand ist und
daher besonderen Schutzes bedarf. In der Mehrzahl der
Entwicklungsländer sind es die klassischen Wirtschaftszweige
Landwirtschaft, Fischerei, Bergbau und Handwerk, die einen Großteil
des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften und die sich in erster
Linie auf die Rohstoffe der Natur gründen.
Den hochentwickelten Staaten kommt eine besondere Verantwortung in
bezug auf den nachhaltigeren Umgang mit den natürlichen Ressourcen
zu. Die Industrieländer sind einerseits die weltweit größten
Verbraucher der natürlichen Ressourcen sind, andererseits besitzen
sie - auch infolge ihrer Entwicklungspolitik - eine Vorbildfunktion
für viele Entwicklungsländer. Das Kopieren des westlichen
Entwicklungsweges birgt große Gefahren in sich. Eine globale
Nachahmung des Lebensstils der Massenkonsumgesellschaften würde die
Grenze der Nachhaltigkeit und der Tragfähigkeit der Erde
überschreiten. Beispiele dafür finden sich nicht nur außerhalb der
Wohlstandsinseln, sondern zunehmend auch innerhalb dieser. Das
belegen beispielsweise die ökologischen Schäden, die durch den
exogenen Tourismus in stark frequentierten Rezeptionszentren
Spaniens, Portugals, Griechenlands und der Türkei hervorgerufen
werden und sich u.a. in Form von Trinkwasserverknappung,
Abfallentsorgungsproblemen, Bodendegradation und flächenhafter
Versiegelung äußern.
Es bleibt zu hoffen, dass beim kommenden "Earth Summit+10" in
Johannesburg (2002) die globalen Fortschritte bei der nachhaltigen
Entwicklung stärker eingefordert werden und der Umsetzung der Agenda
21 durch ein verbindlicheres Kontroll- und
Sanktionsmaßnahmenprogramm ein entscheidendes Stück näher gekommen
werden kann. Bisher erinnern die Versuche noch zu sehr an die
vergangenen Annäherungsbestrebungen zwischen Nord und Süd, die
geprägt waren von guten Vorsätzen und Zusicherungen, aber einer
schlechten Moral bezüglich der Realisierung des Vereinbarten.
(c) Dipl.-Geogr. Johannes Winter,
Weltpolitik.net
[64] Der "Brundtland-Bericht" - benannt nach dem
damaligen Vorsitzenden der "World Commission on Environment and
Development" (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung), dem
norwegische Ministerpräsidenten Gro Harlem Brundtland - erschien
1987 unter dem Titel "Our common future".
[65] An der UNCED in Rio de Janeiro nahmen insgesamt 172
Regierungsvertreter teil, davon 108 Staats- und Regierungschefs (UN
1997:
http://www.un.org/geninfo/bp/enviro.html).
[66] Vgl. dazu die darauf bezugnehmende Resolution der
UN-Generalversammlung 55/199 vom 20.12.2000 (http://www.un.org/Depts/german/gv-55/band1/ar55199.pdf).
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