Gastbeitrag: Dr. Norbert
Gasch
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Eine vollständige
astronomische Interpretation
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Abb. A
Die Himmelsscheibe von Nebra
Mit freundlicher Genehmigung: © Landesamt für Denkmalpflege und
Archäologie Sachsen-Anhalt
Fotografiert von: Juraj Lipták |
Die inzwischen recht berühmte Himmelsscheibe von Nebra (Abbildung A) ist archäologisch
wie astronomisch ein ausgesprochen interessanter Gegenstand. Sie
ist bereits an verschiedenen Stellen hinsichtlich ihres archäologischen,
kulturhistorischen und astronomischen [1-4]
Wertes bereits intensiv besprochen worden. Deswegen kann sich hier
sofort dem eigentlichen Neuen zugewandt werden. Dabei geht es nun
zuerst um die beiden eigentümlichen Randbögen, die die Scheibe aufweist.
Sie sind offensichtlich nachträglich angebracht worden, da zuvor
am Scheibenrand befestigte Sterne entfernt oder versetzt wurden,
um Platz zu schaffen. Zwar ist von den Bögen nur noch einer vorhanden,
aber die Umrisse des zweiten haben sich gut erhalten. Allgemein
hat sich nun der Eindruck ergeben, diese Randbögen könnten astronomisch
für eine Winkelangabe stehen, und vornehmlich der Bochumer Astronom
Dr. Wolfhard Schlosser [4] war rasch
mit der Idee bei der Hand, daß nun die vom Scheibenzentrum aus betrachtet
etwa 82 bis 83 Grad weiten Bögen für die Auf- und Untergangsmarken
der Sonne zu den Sonnenwenden ständen. Jetzt zeigt sich, daß sich
diese Randbögen auch anders interpretieren lassen, und zwar als
Mondwenden. Auch die „Sterne“ auf der Scheibe erhalten unter dieser
Vorgehensweise plötzlich eine Bedeutung, und obendrein tritt auch
noch ein Hinweis auf eine alte Mondwendendarstellung aus der Zeit
vor dem Umbau auf, wobei diese auch noch den Vorteil besitzt, daß
der Schöpfer der Scheibe freundlicherweise ein mondförmiges Etikett
daran zurückgelassen hat.
1. Mondwenden
Sieht man allerdings etwas genauer hin, so erkennt man sofort,
daß die beiden Bögen keineswegs gleich lang sind, infolgedessen
auch keine identischen Winkel einschließen. Geht man indessen davon
aus, daß die auffällige runde Markierung, allgemein als „Sonne“
verstanden, das Zentrum der Betrachtung darstellt (eine Idee, die
z.B. in [5] angestellt wird), wodurch
man sich durch die Führung der oberen und unteren radialen Kanten
der beiden Bögen auch veranlaßt sehen kann, so ergeben sich zwei
Winkel, die 109 und 66 Grad weit sind (Abbildung 1). Winkel dieser
Größe kennt man auch aus Stonehenge. Dort markieren sie in einer
Größe von 102 und 61 Grad die Abstände der Mondauf- und -untergangspunkte
zu den Zeiten der großen und kleinen Mondwenden [6].
Stonehenge liegt auf 51,2 Grad nördlicher Breite; also könnten die
auf der Himmelsscheibe enthaltenen Winkel auf einen Ort in etwas
nördlicherer Lage weisen.
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Abb. 1
Die Sternenscheibe von Nebra zeigt, betrachtet vom Zentrum
der “Sonne” zu den beiden Randbögen hin, auffälligerweise die
Winkel von 109 Grad und 66 Grad.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und
Astronomie |
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Der Mond bewegt sich bekanntlich auf einer Bahn um die Erde, die
5,160 Grad gegen die Ekliptik geneigt ist. Gleichzeitig präzidiert
die Bahn im ganzen einmal in 18,61 Jahren, so daß, obwohl der
Neigungswinkel immer derselbe bleibt, unterschiedliche Neigungen
relativ zum irdischen Äquator und damit Himmelsäquator auftreten.
Maximal und minimal kann die Neigung heute 28,5° und 18,5° relativ
zum Himmelsäquator betragen, womit sich der Weg des Mondes am Himmel
deutlich ändert. Es ergeben sich vier Maxima bzw. Minima, wenn sich
nun die Mondbahninklination zur Neigung der Ekliptik addiert oder
von ihr subtrahiert. Im Zuge der Großen Mondwenden kann der Mond,
geeignete Mondphase vorausgesetzt, wenn er in maximaler Deklination
(+28,5 Grad) steht, weit nordöstlich auf- und weit nordwestlich
untergehen. Steht er aber in niedrigstmöglicher Deklination (-28,5
Grad), geht er tief südöstlich auf und südwestlich unter. Durch die
Präzession der Mondbahnebene rücken diese Auf- und Untergangspunkte
allerdings in den nächsten 9,6 Jahren näher an den Ost- bzw.
Westpunkt heran und erreichen hier zur Zeit der Kleinen Mondwerte
deutlich geringere
Elongationen. Dann erreicht der Mond nur eine geringere maximale
(+18,5 Grad) und minimale (-18,5 Grad) Deklination. Das bedeutet nun
nicht, daß der Mond nur an den vier dazu korrespondierenden Stellen
auf- oder untergehen kann. Vielmehr wandert der Mond innerhalb eines
Jahren, genau wie die Sonne, in seinen Auf- und Untergangspunkten
vom südlichen Wendepunkt zum nördlichen und wieder zurück. Nur ist
dieser Winkel alle 18,6 Jahre besonders groß und jeweils 9,3 Jahre
versetzt dazu besonders klein. Bei der Sonne beobachtet man hingegen
jedes Jahr denselben Winkel zwischen Sommer- und Wintersonnenwende.
Das Erreichen der Mondwenden ist dabei an den gleichzeitigen
Eintritt der Winter- oder Sommersonnenwende gekoppelt, da sich ja
die Monddeklination zu der Sonnendeklination addiert. Zu beobachten
ist der komplette Zyklus deswegen über die Jahrzehnte, da nicht zu
jeder Sonnenwende auch gleich die passende Mondphase herrscht
(Abbildung 2). Die Mondphasen sind aus geometrischen Gründen
übrigens auch an die Sonnendeklination gekoppelt, was die Sache
etwas verkompliziert. Treten die Mondwenden bei Vollmond ein, so
steht der Mond der Sonne zwangsläufig gegenüber am Himmel. Bei der
Sommer-Sonnenwende bedeutet dies, daß der Vollmond mit sehr
niedriger Deklination über den Himmel läuft, weil die Sonne bei
höchster Deklination am Himmel steht. Aus diesem Grunde geht der
Vollmond in der sommerlichen Großen Mondwende dann weit südlich auf.
Für einen schmalen, sichelförmigen Mond gilt das Gegenteil: er geht
bei der sommerlichen Großen Mondwende weit nördlich auf, weil er
dann eine hohe Deklination ähnlich der Sonne besitzt. Zur
Wintersonnenwende geht der Vollmond indessen weit im Norden auf und
beschreibt bis zu seinem Untergang im Nordwesten einen hohen, langen
Weg über den Himmel. Dafür besitzen jetzt die Mondsicheln niedrige
Deklination. Also: der Vollmond läuft zur Zeit der Sommersondenwende
flach über den Himmel und geht im Südosten auf und im Südwesten
unter; zur Zeit der Wintersonnenwende beschreibt der Vollmond eine
steile Bahn und geht im Nordosten auf und im Nordwesten unter.
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Abb. 2
Die Sternenscheibe von Nebra zeigt, betrachtet vom Zentrum
der “Sonne” zu den beiden Randbögen hin, auffälligerweise die
Winkel von 109 Grad und 66 Grad.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und
Astronomie |
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Mit diesem Wissen ausgestattet läßt sich formal die geographische
Breite berechnen, für die die Differenz der Azimutwerte
b
(man sagt dazu auch Pendelbogen) der Großen bzw. Kleinen Mondwenden
eben 109 und 66 Grad ergeben. Es finden sich die 53,15 Grad und
53,90 Grad, das heißt, in etwa die nord- bis mitteldeutsche
Nordseeküste. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Neigung der
Erdachse, die in den Ausdruck eingeht, um 1700 v. Chr. bei 23,883
Grad lag, also etwas größer war als heute.
Die mathematische Vorgangsweise ist ausführlich im
Kasten 1 beschrieben; sie führt im Mittel zu einer
geographischen Breite von 53,5 Grad. Dieser Wert ist für die
atmosphärische Refraktion korrigiert, die ja dazu führt, daß man
Sonne, Mond und Sterne noch am Horizont sieht, wenn sie in
Wirklichkeit schon rund ein halbes Grad unter dem Horizont stehen.
Dazu kommt beim nahen Mond die Horizontparallaxe, die daraus
resultiert, daß der Beobachter den Mond beim Auf- und Untergang von
verschiedenen Seiten der Erde aus sieht und sich der Mond am Himmel
daher aus perspektivischen Gründen um rund ein Grad verschiebt.
Natürlich ist nicht klar, ob die Betrachtung der Mondscheibe
ihrem Zentrum oder ihrem oberen oder unteren Rand galt, was weitere
leichte Veränderungen ergeben kann, die aber kaum etwas ausmachen.
Bemerkenswert an dem Zusammenhang ist natürlich:
1. Die beiden unterschiedlichen Bögen auf der Scheibe
korrespondieren auch zu zwei verschiedenen Winkeln und sind nicht
einfach nur ungenau.
2. Der Umstand, daß beide Winkel gemeinsam in etwa dieselbe
geographische Breite ergeben, wird kaum ein Zufall sein.
Betrachtet man die Scheibe, so erkennt man, daß die „Sonne“ und
der „Mond“ sowie die „Sterne“ offenbar die ursprünglichen
Bestandteile waren, denn es wurden Sterne bei der Anbringung der
Bögen versetzt.
(c) Dr. Norbert Gasch
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