Kreationismus in den USA – ein Angriff auf die Denkfreiheit

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Wussten Sie schon, dass 1999 in Kansas der Begriff Evolution aus den Schulbüchern gestrichen wurde?

Die Wissenschaft hat Beweise ohne Sicherheit, der Kreationismus hat Sicherheit ohne Beweise.

Ashley Montagu

Als Charles Darwin 1859 sein Werk „Über die Entstehung der Arten“ veröffentlichte, lief über alle kirchlichen Institutionen eine Welle der Entrüstung. Die von Darwin erbrachte ketzerische Deszendenztheorie untergrub die bereits von Galileo ins Wanken geratene Autorität der Kirche und stellte alles in Frage, was das Alte Testament verkündete. Die Vorstellung, dass der Mensch, der nach dem Ebenbild Gottes erschaffen sein soll, in Wirklichkeit "vom Affen abstammte", war nicht nur blasphemisch, sie griff das mystische Wesen der Religion an. Aber schon wenige Jahrzehnte später, aufgrund erdrückender Beweislage für die Evolutionstheorie und nach weiteren herben Niederlagen, die das bröckelnde Gebäude des biblischen Dogmatismus mit der Urknall-Theorie und dem Nachweis, dass die Erde ziemlich genau 4,6 Milliarden statt den biblischen 6 Tausend Jahre alt ist, völlig zum Absturz brachten, gaben die Kirchen eine ihrer Kernthese auf, nämlich dass das Evangelium nicht wörtlich, sondern metaphorisch zu verstehen sei. Die Kirche änderte die Strategie und passte sich der neuen Weltanschauung an. Sie nahm sogar die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgreich in die neue Lehre auf. Nun schuf Gott nicht nur die Erde, sondern gleich das ganze Universum.

Einige fundamentalistische Anhänger der Genesis, die sich nicht geschlagen geben wollten und stur an der alten Weltordnung hielten, erklärten den Naturwissenschaftlern den Krieg. Das war die Geburtsstunde der Kreationisten, die vor allem in den USA ein breites Betätigungsfeld fanden. Einen paradiesischen Nährboden zur Keimung des Kreationismus boten die Südstaaten der Amerika, geschwächt vom Bürgerkrieg und in wirtschaftlichen Nöten wandten sich die Leute noch stärker als zuvor der Bibel zu. Der angloamerikanisch-puritanische Lebensstil hatte einen enormen Einfluss auf die Politik - eine Tradition, die bis heute anhält. So war es letztendlich der Staat und nicht die Kirche, die den Kreationismus förderte und dem gesunden Menschenverstand mit Klagen, Verboten und Gesetzen einen Riegel vorschob.

William J. Bryan, dreifacher Präsidentschaftskandidat, ließ 1919 als erste politische Autorität öffentlich verlauten, der Erste Weltkrieg sei ein Produkt des Darwinismus. Er behauptete auch, die Darwin-Lehre zerstöre die Demokratie und Christenheit und sei Schuld an Verbrechen, da sie zum Vertrauensverlust in die Bibel führe. Bryan führte landesweite Kampagnen durch, in denen er sich für den Verbot der Evolutionstheorie an den Schulen einsetzte. Er fand zahlreiche Anhänger, die mit größter Hingabe gegen die Darwin'sche Theorie vorgingen. Mit Erfolg. Ende der zwanziger Jahre wurde die Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen in mehr als zwanzig Bundesstaaten entweder zur Irrlehre abgestuft oder ganz verboten.

Fast vierzig Jahre lang triumphierte Rückständigkeit über der Vernunft, bis 1968 der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten das Anti-Evolutionsgesetz von Arkansas aus dem Jahre 1928 für verfassungswidrig erklärte. Erst in den siebziger Jahren fand die Evolutionstheorie nach und nach wieder Einzug in die Biologiebücher jener Staaten, in denen sie aus den Lehrplänen ausgeschlossen oder geächtet war.

Kreationisten fühlten sich erneut ihres Rechts auf Religionsfreiheit beraubt. Wenn der Darwinismus schon nicht gänzlich aus dem Unterricht verbannt werden konnte, so wollten sie zumindest eine gleichwertige Stellung der Schöpfungslehre neben der Evolutionstheorie durchsetzen. Da es in den Vereinigten Staaten keinen Religionsunterricht gibt, sahen die Kreationisten den einzigen Ausweg darin, ihre Lehre als Wissenschaft auszugeben. Wenn die „Creation Science“ – wie sie sich fortan nannten, als neue, fundierte Wissenschaftsdisziplin durchging, dann würde es sehr schwierig werden, ihr den Einzug in die Schulbücher zu verwehren. Auf Druck der Kreationisten erließ 1969 das Kalifornische Bildungsministerium eine neue Richtlinie, nach der die Genesis als gleichberechtigte Alternative zur Evolutionstheorie in öffentlichen Schulen gelehrt werden müsse. Dies hatte zur Folge, dass die Evolution neben der Genesis in einer Reihe der Schulbücher hinterrangig dargestellt und zunehmend verdrängt wurde. „Der Index der Ausgabe 1973 von "Biology: Living Systems" gab siebzehn Seitenreferenzen, der Index der Ausgabe 1979 gab nur noch drei Zeilen für den Eintrag "Evolution" an“.[1]

Von den zunehmend einflussreicheren Bibelanhängern wurde 1970 in San Diego, Kalifornien das Creation Science Research Center gegründet – ein Institut der Genesisforschung, kunstvoll verborgen unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Heute ist die Einrichtung zur Hochburg der Bibelfundamentalisten geworden mit eigener Hochschule und Bibliothek, einer Radiostation und einem "Museum of Creation and Earth History", einem Konferenzzentrum und einer Versandzentrale, die mit dem Verkauf biblisch-naiven Propagandamaterials Millionenumsätze erzielt. Diese „Krieger für den Glauben“ – so John D. Morris, Leiter des ICR, werden jährlich um ca. 25 Nachwuchstalente bereichert, die an der eigenen Hochschule den Magistertitel erhalten. „Als die kalifornische Schulbehörde Anfang der 90er Jahre die Wissenschaftlichkeit der Abschlüsse des ICR anzweifelte, wurde sie per Gerichtsurteil zu einer Entschädigungszahlung von 225.000 Dollar verurteilt.“[2]

Die Wissenschaftler am ICR tüfteln in ihren Labors an empirischen Beweisen für die Genesis. Das Institut finanziert sogar Expeditionen zum Berg Ararat, wo die Kreationisten die Überreste der Arche Noah vermuten. „Zehntausende kreationistische Wissenschaftler, hunderte kreationistischer Organisationen - das zeigt doch, dass die Mehrheit der Leute hier in Amerika an die Schöpfung glaubt“, sagt John D. Morris.

Der Kreationismus ist in der Tat auf dem Vormarsch. „1995 wurden Schulbücher in Alabama mit Aufklebern versehen, die darauf hinweisen, dass die Evolution ‚eine umstrittene Theorie ist, die nicht als Tatsache angesehen werden darf’. In Kentucky müssen Buchseiten zum Thema ‚Urknall’ verklebt werden. Lehrer in Louisiana und Arizona sind gehalten, vor Lektionen über Darwins Lehre Warnungen zu verlesen. In Georgia wurde das gesamte Kapitel "Über die Entstehung des Lebens" aus den Grundschulbüchern entfernt. Auch in Illinois, New Mexico, Texas und Nebraska versuchten die Schulbehörden, die Evolutionstheorie aus den Schulbüchern verschwinden zu lassen.“[3]

Kreationisten sind davon überzeugt, dass die Darwin-Lehre die Gesellschaft ins Verderben treibe und sei „verantwortlich für so ziemlich alle Übel dieser Welt - Kriminalität, Drogen, Abtreibung oder Scheidungsraten.“[4] Wohingegen die Creation Science für „gute Regierung, echtes Familienleben, wahre Wissenschaft“ steht.[5] Die „gute Regierung“ begrüßt natürlich diese Thesen und weiß sie zu würdigen. Zu diesem Aufschwung der Bibelwissenschaft verhalf in den achtziger Jahren kein geringerer als der Präsident der Vereinigten Staaten Ronald Reagan. In seinen politischen Programmen setzte er sich dafür ein, dass neben Darwin an staatlichen Schulen auch die biblische Schöpfungsgeschichte gelehrt werden müsse. Aber auch die gegenwärtige konservative Regierung Bushs liefert den Kreationisten moralische Unterstützung und vertritt die Auffassung der Gleichberechtigung der Genesis und des Darwinismus.

Die Umfragen zeigen, dass die Zahl der Kreationismus-Anhänger in den Vereinigten Staaten nahezu die Hälfte der Bevölkerung beträgt (siehe auch: wissenschaftlicher Analphabetismus). 1982 waren es 45 Prozent, 1999 47 Prozent. Fast „ein Viertel der College-Absolventen glaubten daran, dass Gott den Menschen innerhalb der letzten 10.000 Jahre in seiner heutigen Gestalt erschaffen habe.“[6] Mehr als 90 Prozent bezeichnen sich als gläubig.

„1999 beschloss die Schulbehörde von Kansas, dass die Evolutionstheorie nach Darwin nicht mehr gelehrt werden müsse. Sie folgte damit der Meinung religiöser Gruppen, die argumentierten, die Evolution sei 'nicht beweisbar'. Schulen wurde es freigestellt, ob sie Urknall, Evolution und die Abstammung des Menschen im Unterricht behandeln oder weglassen wollten.“[7]

Mitte 2001 wurde der Beschluss wieder zurückgenommen, aber der Fall beweist, dass religiöse Fanatiker die Demokratie und Freiheit nicht nur von außen bedrohen können. Auch aus eigenen Reihen entspringen genug "Gotteskrieger", die die Bildung, den Fortschritt und den freien Geist am liebsten in die tiefste Rückständigkeit zurückbefördern und mit Dogmen zupflastern würden.

Die katholische Kirche distanzierte sich übrigens öffentlich von den Kreationisten. Im Oktober 1996 erklärte der Papst Johannes Paul II, dass die Evolutionstheorie nach Darwin mit der christlichen Lehre vereinbar sei.

Siehe auch

Quellennachweise