Sowjetunion

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Lage der Sowjetunion in der Welt

Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (kurz UdSSR oder Sowjetunion, russisch Союз Советских Социалистических Республик (СССР)) war ein multinationaler, kommunistisch regierter Staat, der in den Jahren 1922 bis 1991 bestand. Die UdSSR lag sowohl auf dem europäischen als auch auf dem asiatischen Kontinent und umfasste eine Gesamtfläche von 22,4 Millionen km². Das war mehr als die Fläche von Kanada, der Vereinigten Staaten und von Mexiko zusammengenommen! Die Sowjetunion bestand aus 15 Republiken, die die Union theoretisch auch verlassen konnten. In Wirklichkeit waren sie der zentralistischen Herrschaft Moskaus unterworfen und hatten nur wenig bis gar keine Entscheidungsgewalt. 1991 zerfiel der Staat im Zuge der intern eingeleiteten Reformen in die heutigen Teilstaaten Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Weißrussland. Letzter Generalsekretär der UdSSR war Michail Gorbatschow. Die von Gorbatschow eingeleiteten Reformen wie Perestrojka (Umbau) und Glasnost (Offenheit) führten zur Auflösung der Sowjetunion. Offiziell beendete der Staat am 26. Dezember 1991 seine Existenz. Der Kollaps der Sowjetunion bedeutete das Ende vom Kalten Krieg und dem Eisernen Vorhang sowie von der utopischen Idee eines kommunistischen Staates als solches.

Gründe für den Zusammenbruch der Sowjetunion

Eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Gründe führte zum Zerfall der UdSSR. Wladimir Putin bezeichnete diesen Zusammenbruch als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Historiker und Wirtschaftswissenschaftler führen folgende Gründe auf, die zum Zerfall geführt haben:

  • Ressourcenzerrender Krieg in Afghanistan.
  • Wirtschaftliche Unterstützung von Dritte-Welt-Staaten mit offiziell links ausgerichteter Regierung, um ein globales Gegengewicht zu westlicher Einflusssphäre zu erzeugen und angebliche Dekolonisation voranzutreiben.
  • Fallende Ölpreise.
  • Wirtschaftlicher Untergang, weil ein Großteil der Staatskonzerne für die Rüstungsindustrie arbeiteten.
  • Uneffektive Planwirtschaft mit dem damit verbundenen Warendefizit.
  • Die Sowjetunion war bereits seit den 1970er Jahren nicht in der Lage, sich selbst zu ernähren. Die uneffektive Kolchosenwirtschaft führte dazu, dass Weizen aus dem Ausland importiert werden musste.[1]
  • Der Verwaltungsapparat basierte auf Korruption und Vetternwirtschaft.
  • Die Tragödie von Tschernobyl.
  • In Moskau konzentrierte Zentralherrschaft. Den Republiken, autonomen Gebieten und Städten fehlte es an Dynamik und Handelsfreiheit.
  • Aussterben der Ideologiekader. Das Durchschnittsalter der Parteimitglieder des Politbüros lag bei 77 Jahren.

Viele Russen der Sowjetuniongeneration sehen die Schuld für den Niedergang ihres Geburtsstaates in der von Gorbatschow eingeleiteten Perestroika. Dabei wollte weder Gorbatschow noch der frisch gewählte George H. W. Bush den Zerfall des kommunistischen Riesenstaates. Den Amerikanern war es wichtig, dass Nuklearwaffen unter der Kontrolle der UdSSR unter der gemäßigt-liberalen Führung blieben und nicht außer Kontrolle gerieten.

Der ukrainische Journalist Dmitri Gordon ist der Meinung, dass eine der wichtigsten Ursachen für den Zerfall der Sowjetunion war das Verschwinden der Angst aus der Gesellschaft.[2] Als im Zuge der Glasnost und Perestroika die Mitte der Gesellschaft sich zu liberalisieren begann, wich die Angst, die die Menschen fesselte und lähmte.

Der Westen feierte den Zerfall der Sowjetunion. Der Stanford-Professor Francis Fukuyama proklamierte gar die These vom "Ende der Geschichte" (engl. End of History). Darin formulierte er die Vorstellung vieler Menschen, dass sich die Prinzipien des Liberalismus, der Demokratie und der freien Marktwirtschaft überall auf der Welt durchsetzen würden. Diese These erwies sich leider sehr schnell als naiv. Vielmehr machte sie viele Politiker und Staatsstrukturen blind gegenüber der Entwicklung im Nahen Osten und im neu geschaffenen Russland, besonders unter Putin.

Nachwirkungen

In der russischen Gesellschaft findet heute eine Ideologisierung der Sowjetzeit statt. Vergleichbar mit der Nostalgie der Ostdeutschen wegen der ehemaligen DDR, ist Ähnliches im heutigen Russland zu beobachten. Viele Russen, insbesondere jene der älteren Generation, trauern dem Staat nach, in dem sie geboren und ideologisch geprägt aufwuchsen. Sie waren es gewohnt, die Verantwortung für ihr Leben dem für sie sorgenden Staat zu überlassen. Bis heute wird die Schuld für den Zerfall bei Gorbatschow und Jelzin gesucht, wobei die Voraussetzungen für den Zerfall sich Jahrzehnte zuvor ansammelten. Der latente UdSSR-Patriotismus ist besonders bei der Landbevölkerung noch stark vorhanden. Putin greift ihn auf, um seine Machtposition zu festigen, indem er bei seiner zur Zeit der UdSSR geborenen Stammwählerschaft ein Gefühl der Einheit und der einstigen Größe des Landes erzeugt.

Menschen trauern einer vermeintlichen Größe und Stärke des Imperiums nach, in dem aus retrospektivischer Sicht alles Schlechte vergessen und relativiert wurde, während andere Aspekte an Gewicht und Größe gewinnen. Das Leben in der Sowjetunion kommt vielen wie die bittersüße Erinnerung an eigene Vergangenheit vor, als man noch jung war und sorgenfreies Leben hatte, als man Limonade für drei Kopeken an einem öffentlichen Automaten kaufen konnte und das Plombir-Eis so gut schmeckte.

Vorteile und Nachteile des Lebens in der Sowjetunion

Abgesehen von der Zeit der Anfängen bis zu den stalinistischen Schrecken war das Leben in der Sowjetunion für viele Bürger erträglich und lebenswert. Ab der Mitte der 1960er Jahre bis zum Zerfall der Sowjetunion herrschte im Land ein recht moderater, fast liberaler Kommunismus. In kleinen Details unterschied sich das Alltagsleben kaum von dem der westlichen Bürger. Um diese Frage gibt es viele Kontroversen, die Raum für Schwarzweißsicht bietet. Das Reisen ins Ausland war zwar für die meisten begrenzt, dafür konnten Menschen sich im eigenen Land, das geografisch und kulturell eine große Vielfalt bot, beinahe grenzenlos bewegen. Ungeachtet der Planwirtschaft und des Warendefizits konnte man über Verbindungen fast alles erwerben. Jeder, der es wollte und fähig war, konnte sich einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten.

Vorteile

Eine typische Chruschtschowka aus der Sowjetunionzeit in Nowosibirsk
Schüler am 1. September in typischer Schuluniform, 1985
  • Zur Zeit der UdSSR hatte das Land einen enormen wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt erreicht.
  • Menschen lebten von einer Idee (Ideologie), die für viele Menschen eine Lebensrichtung gab. Die Idee des Kommunismus gab vielen Menschen eine Identitätsfindung.
  • Kostenlose Bildung, eine sehr niedrige Analphabetenrate. In der Sowjetunion war die Lesekultur sehr geschätzt. Die Sowjetbürger gehörten angeblich zu den belesensten der Welt. Es gehörte zum guten Ton, viele Bücher zu Hause zu besitzen, die im Wohnzimmer einen Ehrenplatz einnahmen. Weil gute Bücher rar waren, waren viele Mitglieder in der örtlichen Bibliothek oder im Lesesaal.
  • Kostenlose Medizin.
  • Es gab keine Arbeitslosigkeit in der Sowjetunion. Jeder Erwachsene konnte nicht nur - er musste arbeiten. Faulenzer wurden sogar vom Gesetz verfolgt.
  • Es gab keine Obdachlosen.
  • Kostenlose Kinderbetreuung wie KiTas und Kindergärten.
  • Sehr günstige, gut organisierte Kinderbetreuung in Ferienlagern. Die sogenannten Pionierlager waren betrieblich organisierte Ferienlager. Die Beschäftigten hatten die Möglichkeit, ihre Kinder für die Dauer von einem Monat in solch einem Ferienlager unterbringen zu lassen. Zu einem eher symbolischen Preis von rund 10 Rubeln. Solche Erholungsorte für Kinder gab es überall im Land.
  • Sehr günstiger öffentlicher Verkehr. Ein Straßenbahnticket kostete in den 1980er Jahren 3 Kopeken, Ticket für Trolleybus 4 Kopeken und ein Busticket 5 Kopeken. Auch im Vergleich zwischen dem Durchschnittseinkommen in der UdSSR und dem Durchschnittseinkommen im heutigen Deutschland waren die Preise des öffentlichen Nahverkehrs sehr günstig.
  • Kostenlose Wohnungen. Bei diesem Punkt scheiden sich die Geister, was kostenlos genau bedeutet. In der Sowjetunion herrschte extreme Wohnungsnot. Bis in die 1960er Jahre hinein lebte ein Großteil der städtischen Bevölkerung in Baracken oder in den sogenannten Kommunalki — Gemeinschaftswohnungen nach dem WG-Prinzip. Erst nach Stalins Tod begann sein Nachfolger Chruschtschow, das Wohnangebot massiv zu erweitern. Es entstanden die ersten Chruschtschowki, meist vierstöckige Häuser in Paneelbauweise. Sie waren schnell zu bauen und boten eine erhebliche Besserung der Wohnqualität. Die Wohnsituation besserte sich allmählich. In der Ära Chruschtschow/Breschnew entstanden in allen Großstädten meist in den Vororten riesige Wohn­blöcke, die man in Russland bis heute "Schlafviertel" (russ. Спальные районы) nennt. Fast jede Familie bekam die Möglichkeit, eine Neubauwohnung zu beziehen. Die Miete war grundsätzlich günstig. Bei einem Durchschnittsverdienst in der Sowjetunion zwischen 120 bis 140 Rubel kostete eine Dreizimmerwohnung zwischen 20 und 25 Rubel Monatsmiete. Manche Wohnungen waren tatsächlich kostenlos. Allerdings musste man sich dafür auf eine Warteliste setzen. Nicht selten musste man 10 bis 20 Jahre warten, ehe man eine kostenfreie Wohnung bekam. Selbstverständlich blieb diese Wohnung Staatseigentum. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Staat nichts verschenkt hat. Kaum einem Bürger der Sowjetunion war damals bewusst, dass ihre erbrachte Leistung nicht im Verhältnis zum Lohn stand. Die Beschäftigten hatten keine Vorstellung über die Höhe ihrer Bruttolöhne und die entsprechend abgeführten Steuern. Die Bevölkerung im Land war unterbezahlt. Die sozialistische Planwirtschaft war eine Form von Staatskapitalismus. Der Löwenanteil des BIP ging für die Rüstung und andere sozialistische Großprojekte. Die Arbeiter wurden weit unter Wert bezahlt. Deswegen waren die sogenannten kostenlosen Wohnungen strenggenommen gar nicht kostenlos, wenn man dafür bis zu 20 Jahre einen unterbezahlten Job ausüben musste, wofür man die Wohnung später nur für eine begrenzte Zeit zur Verfügung gestellt bekam.
  • Presse. Es ist nur ein Aspekt der Presse als gut hervorzuheben: Positivität. Natürlich gab es in der UdSSR Zensur und keine Pressefreiheit. Dennoch: Der Tenor der Nachrichten war mit Optimismus, etwas pathetischem Heroismus und Hoffnung durchtränkt. Das hatte eine positive psychologische Wirkung auf Menschen, gab ihnen ein Gefühl der Einheit, bot, zumindest gefühlt, eine Zukunftsperspektive. Außerdem folgte die Presse einer von der Partei vorgegebenen Linie. Es gab keine sich widersprechenden Pressemeldungen, es gab keine Yellow Press, keinen Klatsch und Tratsch. Dieser Aspekt änderte sich schnell während der Perestroika.
  • Kunst und Kultur unter staatlicher Obhut. Der Staat betrieb progressiv Kunst und Kultur im Land. Theater, Oper, Ballett, Zirkus, Kino und Musik wurden vom Staat gefördert. Für die Nachwuchstalente wurden entsprechende Ausbildungsstätten geschaffen, in denen Künstler der Weltspitze ausgebildet wurden. Vom Zirkusclown bis zum Bühnendarsteller – das waren keine freischaffenden Tätigkeiten, sondern Ausbildungsberufe. Die staatliche Kontrolle hatte natürlich auch ihre Schattenseiten (s. u.).

Nachteile

  • Kolchose-Bauern hatten bis 1974 keine Pässe, um zu verhindern, dass sie die Kochhosen verließen. Somit unterschied sich ihr Leben von denen der Leibeigenen im 19. Jahrhundert kaum. Auch viele Fabrikarbeiter konnten nicht einfach kündigen und woanders anfangen.
  • Dafür, dass es keine Arbeitslosigkeit gab, musste teilweise ein hoher Preis gezahlt werden. Insbesondere eng spezialisierte Kräfte konnten sich die Arbeit nicht aussuchen, sondern mussten sie dort annehmen, wo man sie hingeschickt hat. Nicht selten konnte es eine andere Stadt sein, die tiefste Provinz, der kalte Ostsibirische Norden oder gar eine "geschlossene Stadt".
  • Der Staat mischte sich ins Privat­leben der Menschen ein. Auf einer der unzähligen Parteisitzungen oder Betriebsversammlungen konnte man beispielsweise dafür gerügt werden, wenn man zu viele Frauen- oder Männerbekanntschaften pflegte. Auch konnte es vorkommen, dass Familienbuch oder Scheidung zum Thema solcher Sitzungen wurde. Menschen wurden in ihrem privaten Raum bloßgestellt.
  • Der Eiserne Vorhang: Es war nicht leicht, eine Urlaubsreise außerhalb von Sowjetunion zu ergattern. Mit großem Glück konnte man so eine Reise in sozialistische Bruderstaaten, meist über gute Verbindungen bekommen. Eine Reise in die Weststaaten außerhalb des eisernen Vorhangs war praktisch unmöglich. Aber auch wenn man nur nach Bulgarien oder in die Tschecho­slowakei fuhr, musste man durch Dutzende bürokratische Instanzen durch, ehe man eine Reiseerlaubnis bekam. Als Lediger hatte man praktisch keine Chance, ins Ausland zu reisen. Bei Verheirateten behielt die Partei ein Pfand aus Ehefrau oder Kindern, die man in der Heimat zurückließ.
  • Geheimnistuerei. Beinahe jede Fabrik hatte mindestens eine Abteilung, die direkt oder indirekt für die Rüstungsindustrie tätig war. Was dort entwickelt oder produziert wurde, wusste niemand, der nicht direkt daran beteiligt war. Alle großwirtschaftlichen Projekte, neue Technologien, militärische Entwicklungen, Atom- und Raumfahrtprogramme unterlagen der höchsten Geheimhaltung. Teilweise waren ganze Städte, genannt "geschlossene Städte", für die Entwicklung von Geheimprojekten konzipiert. Sie waren von der Öffentlichkeit völlig abgeschottet. Die Ein- und Ausreise in solche Städte war nur mit Sondergenehmigung möglich.
  • Keine Wort- und Pressefreiheit. Die Tageszeitung war von der ersten bis zur letzten Seite mit Errungenschaften des Sozialismus, langatmigen Beschlüssen irgendwelcher Parteisitzungen und der Kritik am Westen gefüllt. Natürlich gab es je nach Format eine Rubrik mit Feuilleton, Satire, Neuigkeiten aus der Forschung, Regionalnachrichten, Interviews, literarische Ecke und mehr. Es gab sogar Kritik an eigenen Strukturen, allem voran an der Bürokratie. Dennoch zog sich durch fast jeden Artikel die sozialistische Idee durch. Unfälle und Katastrophen tauchten höchstens auf, wenn sie im Ausland passierten. Morde und Vergewaltigungen waren in der Presse rar. Serienmörder gab es nur im dekadenten Westen.
  • Staatliche Kontrolle der Kunst und Kultur. Theater, Literatur, Kino und Musik wurden zwar staatlich gefördert, unterlagen aber gleichzeitig der Kontrolle und Zensur. Eigene Kreativität wurde nur in gewissen Rahmen zulässig. Kunstschaffende, die ihnen auferlegte Grenzen sprengten, wurden zensiert und boykottiert. Viele sowjetische Prominente flohen teils unter abenteuerlichen Umständen aus dem Land.
  • Planwirtschaft und Warendefizit. Die sozialistische Planwirtschaft war sehr starr und unflexibel. Die Menge der benötigten Waren war fernab der Realität zentral kalkuliert. Die Wirtschaft konnte somit nicht dynamisch auf Marktveränderung reagieren. Es entstand Warendefizit in beinahe jedem Bereich. Zudem war das Defizit ungleichmäßig verteilt. Viele Haushaltswaren oder Lebensmittelprodukte, die man in Moskau oder Leningrad noch bekommen konnte, waren in der Provinz gar nicht zu kriegen. Diese Misswirtschaft bot die Grundlage für illegale Spekulanten, die mit überteuerten Waren handelten, sowie für Beschaffung über Beziehungen (russ. Блат). Durch richtige Beziehungsnetzwerke sicherte man sich eine gehobene Existenz. Wenn man richtige Leute kannte, konnte man an gewisse Luxusgüter kommen, die den Durchschnittsbürgern vorenthalten blieben. Während man zu Ära Stalin bis zu 25 Jahre Lagerhaft für eine mitgenommene Kartoffel vom Feld bekommen konnte, nahm in der späteren Sowjetunion der Diebstahl am Arbeitsplatz von Jahr zu Jahr zu. Der Begriff "von der Arbeit mitbringen" (russ. с работы принести) ging nicht nur in den Sprachgebrauch ein, sondern verankerte sich in der Mentalität. Es war völlig normal, etwas von der Arbeit "mitzunehmen", um zumindest teilweise das Warendefizit auszugleichen.
  • Überfüllte Busse und sündhaft teure Autos. Weil es kaum Alternativen zu den öffentlichen Verkehrsmitteln gab, war der öffentliche Verkehr total überfüllt. Vor allem zu Stoßzeiten zwängten sich die Menschen dermaßen in die Busse rein, dass die Türen hinter den zuletzt eingestiegenen Passagieren gerade so schließen konnten. Nicht jeder Sowjetbürger konnte sich ein Auto leisten. Um ein Auto kaufen zu können, musste man sich auf eine Warteliste setzen. Fünf bis zehn Jahre Wartezeit waren das Minimum. Auch nicht jeder konnte sich ein Auto leisten. Im Jahr 1980 kostete ein Wolga rund 9.500 Rubel, ein Lada 7.300 Rubel. Ein überdurchschnittlich verdienender Facharbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung hatte weniger als 200 Rubel im Monat. Ein Auto war ein Prestige- und Luxusobjekt. Das Autofahren selbst wurde als Liebhaberei und als Hobby bezeichnet. Selbst wenn man ein Auto besaß, fuhr man in der Regel mit dem Bus zur Arbeit, während der Wagen in der Garage stand. Die Garage befand sieh nicht selten weit von der Wohnung entfernt. Das Familienauto wurde meist für Ausflüge und die Fahrt zur Datscha benutzt.
  • Jeder, der mit der Parteilinie nicht einverstanden war, stieß auf zähen Widerstand beim Aufstieg auf der Karriereleiter. Das fing teilweise bereits in der Schule an, wenn man fürs Andersdenken schlecht benotet oder gar nicht erst zu Prüfungen zugelassen wurde.
    Die Repressalien, die in der UdSSR vorherrschten, wenn man mit der Parteidoktrin nicht hundertprozentig einverstanden war, merken viele Menschen im heutigen Putin-Russland nach dem Überfall auf die Ukraine. Jene Russen, die sich heute gegen die Staatspropaganda bekennen, riskieren oft ihre soziale Stellung, ihren Job oder sogar ihre Freiheit.

Errungenschaften

Eine kleine Liste von großen Errungenschaften ohne historische Bewertung:

  • Kollektivierung
  • Industrialisierung
  • Bezwingen von Nazi-Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg fast im Alleingang
  • Entwicklung von Kernwaffen
  • Flug ins Weltall
  • Erstes an das öffentliche Stromnetz angeschlossene Kernkraftwerk der Welt (Atomkraftwerk Obninsk, Nettoleistung 5 MW)

Bewertung

"Wer den Zerfall der Sowjetunion nicht bedauert, hat kein Herz. Wer sich das alte Regime zurück wünscht, hat keinen Kopf." Wladimir Putin

Eine objektive historische Bewertung der Sowjetunion ist schwierig. Viele westliche oder westgewandte Historiker sehen die UdSSR als einen totalitären Staat an, der die Menschenrechte missachtete, der seinen Bürgern die Freiheit raubte, Millionen Menschen deportierte, Eroberungskriege führte und keine anderweitige Meinung duldete, die nicht der staatlichen Doktrin entsprach. Der amerikanische Präsident der 1980er Jahre Ronald Reagan bewertete die UdSSR als das "Reich des Bösen". In den 1930er/1940er Jahren sehen viele dieser Historiker zwischen der Sowjetunion und dem Dritten Reich zahlreiche Gemeinsamkeiten. Tatsächlich ist es aber so, dass die Sowjetunion zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, während der stalinistischen Säuberungen und der "friedlichen Stagnation" der Breschnew-Zeit strukturell und politisch immer ein anderer Staat war, der außer gewissen Symbolen praktisch keine Gemeinsamkeiten aufwies.

In der Geschichte der Sowjetunion gab es drei Verfassungen, die im Laufe der Zeit herausgebracht und korrigiert wurden. Wenn man von der ersten Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) von 1918 absieht, gab es die erste Verfassung der Sowjetunion 1924. Die zweite Verfassung wurde 1936 in der Regierungszeit Stalins beschlossen. Die letzte Verfassungsüberarbeitung fand 1977 statt und ging in die Geschichte als Breschnew-Verfassung ein.

Subjektiv wird die sowjetische Periode von vielen Menschen, die sie erlebten, äußerst positiv wahrgenommen. Das mag zum einen daran liegen, dass in diesen Zeitabschnitt Kindheit und Jugend dieser Bevölkerungsgruppe fiel. Zum anderen fühlten sich viele sowjetische Bürger in einer bescheidenen "Wohlstandsgesellschaft" der Breschnew-Ära wirklich wohl. Entsprechend negativ werden die Umbrüche der Perestroika Mitte der 1980er Jahre zusammen mit der Person Michail Gorbatschow wahrgenommen.

Die wenigsten in der Sowjetunion aufgewachsenen Russen denken an den vergangenen Staat emotionslos. Die Erinnerungen sind sehr ambivalent: Von vielen wird die Sowjetunion geliebt, von anderen gehasst. Рождённые в СССР ("geboren in der UdSSR"), proklamieren stolz die Nostalgiker. Совок ("Sowok" "Schaufel") oder Совдеп (Sowdep, abgeleitet von Sowet deputatow) nennen den Staat abschätzig seine Hater.

Eine repräsentative Umfrage des russischen Levada-Zentrums, eines nichtstaatlichen soziologischen Instituts, konstatierte, dass 66 % der Bürger Russischer Föderation den Untergang des sowjetischen Reichs bedauern. Das kulturelle Erbe der Sowjetunion lebt im heutigen Russland weiter. Im Gegensatz zum Ende des Dritten Weltreiches nach der Kapitulation im Zweiten Weltkrieg fand im russischen Kernland keine Entkommunisierung statt. Außer einer anfänglichen kritischen Haltung gegenüber dem Personenkult Stalins wurde niemand öffentlich an den Pranger gestellt und verurteilt. Es fand keine historische und politische Aufarbeitung stark. Nach der harten Konfrontation des ehemaligen Sowjetbürgers in den 1990er Jahren mit dem Zusammenbruch der ehemaligen Ordnung und Werte, mit Armut, Banditismus und einer pervertierten Form des Kapitalismus ohne den Hauch eines sozialen Puffers, wünschten sich die meisten die "gute alte Zeit" zurück. Putin ergriff die Möglichkeit beim Schopf und gab der Nation alte Nationalwerte zurück: die alte Hymne mit etwas abgewandeltem Text, eine Bedrohung von außen, einen Siegeskult im Zweiten Weltkrieg und Relativierung der Verbrechen des kommunistischen Regimes. Der Staat unterstützt die Sehnsucht und Nostalgie der Menschen nach einer glorreichen Vergangenheit.

Sprüche und Aphorismen

  • "Den Sowok[3] kann man nicht aus einem Menschen austreiben. Er bleibt in ihm bis Ende seiner Tage." Oleg Schdanow
  • "Die lang andauernde Zersetzung der UdSSR führte dazu, dass auch die Moral zersetzt wurde." Dmitri Bykow[4]
  • "Ein Kommunist ist einer, der Marx gelesen hat, und ein Antikommunist ist einer, der ihn verstanden hat." (Sowjetischer Witz)

Lesestoff zum Thema

Siehe auch

Quellennachweise

  1. Rußland kauft wieder Weizen in den USA, DER SPIEGEL 34/1975
  2. YouTube: Gordon über den Zerfall der Sowjetunion (russ.)
  3. Sowok (russ. Совок "Schaufel") ist eine abwertende Bezeichnung sowohl für die Sowjetunion direkt, aber auch für die sowjetische Ära als Ganzes oder einen ehemaligen Sowjetmenschen, der mental in der Vergangenheit stehen geblieben ist.
  4. Zitat aus einem Interview mit Dmitri Bykow im Hinblick auf die passive Haltung der russischen Gesellschaft nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine.