Medienkompetenz versus Gehirnwäsche - eine intellektuelle Herausforderung

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Die Massenmedien im eigentlichen Sinn haben im wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem fernzuhalten.

Noam Chomsky

Einführung

Neuartige, bis dato unbekannte Medien sind zu allen Zeiten der Geschichte mit Misstrauen beäugt und angegriffen worden. Ein Teil der Gesellschaft steht immer ablehnend gegenüber Neuem, weil die Menschen noch über keine Erfahrungen damit verfügen, aus Bequemlichkeit und der Gewohnheit, sich in alten, vertrauten Schemata zu bewegen. Befürchtungen werden ausgesprochen, welche Auswirkungen das Neue auf die Menschen haben könnte, auf ihre Bräuche, auf ihre Werte, auf die Jugend.

Die Mächtigen und Reichen sahen in der Erfindung des Buchdrucks eine Gefahr für ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung - zu Recht, wie die Geschichte gezeigt hat. Kein anderes Medium hat im Laufe der Zeit so zum positiven Umbruch, zur Demokratisierung der Gesellschaft geführt wie die Erfindung Gutenbergs. Die Erfindung der Fotografie ließ bei einigen Zeitgenossen die Befürchtung aufkommen, sie würde die Malerei verdrängen. Ebenso den später dazugekommenen Medien wie Cinematograph, Radio und Fernsehen standen viele mit Skepsis gegenüber. Inwieweit das eine oder das andere Medium seinen Vorgänger verdrängt hatte, wollen wir hier nicht untersuchen, sondern uns gänzlich dem Lieblingsmedium der modernen Gesellschaft widmen - dem Fernsehen.

Fernsehen - eines der zentralen Aspekte unseres Lebens

Das Fernsehen ist ohne Frage zum herrschenden und beherrschenden Massenmedium geworden. Die Gründe dafür liegen in unserer Natur. Zum einen - wir nehmen neunzig Prozent unserer Umwelt visuell wahr, zum anderen stellt der Fernsehkonsum keine besonderen geistigen Ansprüche an den Konsumenten, etwa im Gegensatz zum Lesen eines Buchs. Während ein geschriebener Text die aktive Teilnahme des Lesers erfordert, sind die Anforderungen bei einem audiovisuellen Medium deutlich geringer. Noch schmackhafter wird das Hingucken dem Zuschauer durch sich schnell wechselnde Abfolge von Bildern, untermalter Musik und durch geschickten Schnitt gemacht. Weil sich unser Auge beim Fernsehen nicht auf einen Punkt fixiert werden kann, werden wir rasch in einen schlafähnlichen Zustand versetzt, was wir als angenehm empfinden. Wir schalten buchstäblich ab.

In den Vereinigten Staaten beträgt "die durchschnittliche Länge einer Kameraeinstellung in den Sendungen der großen Fernsehgesellschaften nur 3,5 Sekunden, so dass das Auge nie zur Ruhe kommt, stets etwas Neues zu sehen bekommt."[1] Ich habe die Zeit der Kameraeinstellung im deutschen Fernsehen zwar nicht mit einer Stoppuhr gemessen, aber bewusst auf den Schnitt geachtet. Die 3,5 Sekunden sind auch für das deutsche Fernsehen sehr realistisch. Der Zustand des "Wachkoma" wird durch das Fernsehprogramm begünstigt, das "minimale Anforderungen an das Auffassungsvermögen" des Zuschauers stellt, "eine Vielfalt an [leicht verdaulichen] Themen" bietet und vor allem weckt und befriedigt es Gefühle. "Selbst die Werbespots, die mancher als lästig empfindet, sind raffiniert gemacht, stets angenehm fürs Auge und mit erregender Musik unterlegt."[2]

Wir lieben unser Fernsehgerät, das meist einen Ehrenplatz in unseren Wohnzimmern einnimmt. Wir verstecken es nicht in der Rumpelkammer, nein, es thront im Wohnzimmer an einer übersichtlichen Stelle und zieht alle Blicke auf sich. Das Fernsehen erzählt uns Geschichten und zeigt uns ferne Länder. Es bringt uns zum Lachen und zum Weinen, es stimmt uns traurig und heiter. Wir lieben, wir fühlen und hassen mit den auf die Mattscheibe projizierten imaginären Figuren in einer imaginären Story. Das Fernsehen begleitet uns treu durch den oft tristlosen Alltag, hilft uns, die Langeweile zu meistern und bringt sogar die Menschen zusammen, die sich am Sonntagabend behaglich einer - oft letzter - Gemeinsamkeit erfreuen: dem schweigsamen Starren auf die Mattscheibe. Kurz: es erfüllt alle Kriterien einer abhängig machenden Droge.

Laut einem Bericht des NGFG e.V. verbringt jeder Deutsche mehr als 2,5 Stunden täglich vor oder mit dem Fernsehen. Die neuesten Untersuchungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) verzeichnen noch alarmierendere Statistiken und erklären das Fernsehen zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung der Deutschen. 3 Stunden und 23 Minuten täglich sehen wir fern. Den Rekord hält Sachsen-Anhalt mit 4 Stunden und 8 Minuten.[3] "Zwei von fünf Deutschen zwischen 14 und 49 Jahren würden sich im Zweifel für das Fernsehen entscheiden [wenn sie zwischen anderen Medien wählen müssten], oder anders ausgedrückt: Über 40 Prozent der Bundesbürger wollen nicht auf das Fernsehen verzichten."[4]

Gewisse Zielgruppen wie "Vorschulkinder, Schüler während der Ferien oder an Wochenenden und ältere Menschen ab 50 Jahren" verbringen durchschnittlich zwischen 7 - 10 Stunden täglich vor ihrem "Lieblingshaushaltsgerät".[5] Grund genug für den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau sich mit erhobenem Zeigefinger an die Öffentlichkeit zu wenden: Die Eltern müssten "frühzeitig die Technik beherrschen, mit der ein Fernsehgerät auch ausgeschaltet werden kann. Die wenigsten wissen offenbar, wie das geht." Auch die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss forderte unlängst nach einem fernsehfreien Tag - Rügen und Forderungen, die vor allem die Betroffenen nicht erreichen.

Fernsehen - bunte Hohlwelt

Eine schöne neue Welt, in die sich diejenigen flüchten, für die die Realität wenig zu bieten hat: Jugendliche, Hausfrauen, Arbeitslose und Rentner. Insbesondere die ersteren, die Ende 2003 ihren tolpatschigen Teenie-Idol Daniel Küblböck zu einem der wichtigsten Deutschen kürten (und der inzwischen fast wieder vergessen ist), fallen kritiklos auf vorgetäuschte glamouröse Welt der Stars und Sternchen, Marken und Outlook, Diäten und Schönheitsoperationen, Depression und Perspektivlosigkeit herein.

"Sei, was du bist", heißt es locker und ungezwungen in der Werbung eines großen Getränkeherstellers, aber nur, solange du dieses Getränk konsumierst und nicht ein Aldi-Plagiat. Jeder kann ein Star werden und in zwei Monaten Schallplatten verkaufen. Und wenn nicht - da gibt es noch eine freiwillige Internierungsanstalt, die mit ihrer Namensgebung Orwell verhöhnt. Und wer es da nicht schafft, seine Intimsphäre zur Schau zu stellen, kann immer noch in einer Talk-Show einen Ex-Freund diffamieren. "Formate wie Big Brother oder Dschungelcamp" informieren den Zuschauer nicht mehr, sondern ersetzen den Zuschauern ihr nicht mehr stattfindendes Leben. Es gibt neuerdings einen Begriff dafür: Unterschichtenfernsehen.[6]

"Unterschichtenfernsehen ist das, was bei den Privaten zu sehen ist. Busen werden vergrößert, Lippen aufgespritzt, jemand sagt 'Scheiße', jemand weiß nicht, wo der Kölner Dom steht, jemand trinkt schon am Morgen Bier. Man kann Klingeltöne bestellen, sie heißen zum Beispiel Furz Drei. Ein Leben zwischen Furz Drei und Hartz IV. Unterschichtenfernsehen ist: Tätowierungen haben. Keine Arbeit haben. Sich die Fußnägel lackieren und sich dabei laut die Frage stellen, ob man sie sich mal wieder schneiden soll. Sich die Nägel schneiden, vor der Kamera."[7]

Privatfernsehen - eine Alternative zu öffentlich-rechtlichen Sendern?

Seit Einführung des Privatfernsehens, das von der CDU als Alternative zum öffentlich-rechtlichen "Rotfunk" gefördert wurde, ist der tägliche Fernsehkonsum der Erwachsenen um 68 Minuten gestiegen.[8],[9] Gleichzeitig ist es qualitativ gefallen, was sich objektiv in keiner Statistik belegen lässt. Talk- und Reality-Shows, schmalzige Soaps und sarkastische Comedy-Shows, oberflächliche Nachrichten und banale Reportagen, poppige Gesangstunden und nicht gerade Intelligenz fördernde Mangas a la "Dragon Ballz" beherrschen das Programm. Das Sendeangebot der Privaten lässt den Eindruck entstehen, dass Dummheit zunehmend salonfähig wird. Die Dekadenz der Medien nimmt hier allmählich Züge an, die Witz und Humor zum debilen Wiehern eines hyperaktiven Kretins pervertiert. Amüsement als vorübergehender Zustand wächst hier zur Gestalt einer immer grotesker werdenden Massenhysterie heran, die mit jedem Wachstumsschritt neue Grenzen zu überschreiten sucht und die überreizten Sinne des Publikums mit jedem Atemzug abstumpfen lässt. Die Menge schreit nach mehr wie ein Dogensüchtiger an der Nadel. Eine mediale Gesellschaft, die in überwiegender Mehrheit an sensomotorischem Realitätsverlust leidet, die geistig hypotonisch-apathisch wird aufgrund eines jahrelangen exzessiven Missbrauchs, ist milde ausgedrückt zu nichts zu gebrauchen. Und dass die Zukunft von einem Nichtsnutz eher trostlos aussieht, bedarf keiner näheren Erläuterung. Vgl.[10]

Am besten lässt sich diese Entwicklung am Beispiel Amerika beobachten - dem Land, das Privatfernsehen erfunden hat. USA, wo einst der Enthüllungsjournalismus den Watergate-Skandal auslöste und bemannte Flüge zum Mond Millionen vor die Mattscheiben bannten, droht in einem regierungsfreundlichen Konsens niederzugehen, an Desinteresse zu ersticken. Wenn Medien ihre Funktion als unabhängige Kritik- und Kontrollinstitution verlieren und der Regierung, den Werbepartnern und auch den Zuschauern nach dem Munde berichten, dann ist die Demokratie an ihrer empfindlichsten Stelle gefährdet - dem öffentlichen Meinungsaustausch. Was alle totalitäre Staaten anstreben und praktizieren - die Medien zu kontrollieren -, entwickelt sich im Westen zunehmend zur Selbstzensur. Der Markt reguliert das Angebot und lässt Inhalte, die für wenig Schaltquoten sorgen, aus. Neil Postman, der prominenteste Fernsehkritiker, hat es folgendermaßen formuliert: "Orwell fürchtete diejenigen, die Bücher verbieten. Huxley befürchtete, dass es eines Tages keinen Grund mehr geben könnte, Bücher zu verbieten, weil keiner mehr da ist, der Bücher lesen will."

Audiovisuelle Medien als Werkzeug für Propaganda

Wie Medien uns beeinflussen, zeigen viele Beispiele aus der Vergangenheit und der Gegenwart. "1916 wurde Woodrow Wilson auf der Grundlage eines Anti-Kriegs-Programms zum Präsidenten gewählt. Die Stimmung in den USA war sehr pazifistisch. Das hat in den USA eine lange Tradition. Die Leute wollen keine Kriege in anderen Ländern führen. Der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg wurde heftig abgelehnt, und Wilson wurde aufgrund seiner Stellungnahme gegen den Krieg gewählt. Er war mit dem Slogan 'Frieden ohne Sieg' zur Wahl angetreten. Aber er strebte von Anfang an eine Beteiligung am Krieg an. Daraus ergab sich das Problem, eine pazifistisch gestimmte Bevölkerung in lauter verrückte antideutsche Fanatiker zu verwandeln, die am liebsten alle Deutschen umgebracht hätten. So etwas geht nicht ohne Propaganda, und so gründete die Regierung die erste - und im übrigen auch einzige - große staatliche Propagandainstitution der US-Geschichte. Sie hieß offiziell 'Komitee zur Information der Öffentlichkeit' und wurde auch die 'Creel-Kammission' [sic] genannt. Ihre Aufgabe bestand darin, durch die Verbreitung von Propaganda eine hurrapatriotische Hysterie in der Bevölkerung auszulösen. Das Ganze war ein unglaublicher Erfolg. Binnen weniger Monate herrschte eine hemmungslose Kriegshysterie, und dem Kriegseintritt der USA stand kein Hindernis mehr entgegen."[11]

Aber man braucht nicht so weit in die Geschichte zu schweifen, um nach Propagandabeispielen zu suchen. Die Nahostkonflikte der letzten Jahrzehnte sind voller davon. Die regierungsfreundliche Medienpropaganda der heutigen Zeit hat einen Namen: "Saddam Hussein". "Eine vage Vorstellung von dem, was [mit dem Medienrummel] möglich ist, wurde uns 1990/91 vermittelt, als Saddam Hussein im Bewusstsein der Amerikaner eine plötzliche Verwandlung erfuhr: Aus einem obskuren Beinahe-Verbündeten, dem man Rohstoffe, High-Tech-Geräte, Waffen und sogar geheimdienstliche Satellitendaten überließ, wurde ein geiferndes Ungeheuer, das [eine ehemalige Irakprovinz Kuwait und den Rest der] Welt bedrohte."[12] Der Irakkrieg und die Anschläge vom 11. September sind das jüngste Beispiel, wie Kritiker zu antipatriotischen Schurken abgestempelt werden. Ganze Länder, die Bedenken äußerten, wurden auf die Liste der "Schurkenstaaten" gesetzt. "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns", postulierte die Regierung Bushs in ihrer biblisch-archaischen Schwarzweißmalerei. Wer Kritik übte, war jetzt nicht einfach Nörgler, sondern mutierte gleich zum Feind. Ein Land im Ausnahmezustand braucht keine Kritiker, sondern Patrioten. Die größten Medienanstalten des Landes zählten sich zu den letzteren.

Angst ist der Motor jeder Propaganda. In Nazi-Deutschland fürchtete man sich vor Juden, in Sowjetunion vor dem "amerikanischen Aggressor" und in Amerika wiederum vom "Reich des Bösen" - der UdSSR. Man fürchtet sich vor Einwanderern, vor Angehörigen ethnischer Minderheiten, vor Menschen mit einem anderen Melaningehalt und vor Männern mit buschigen schwarzen Bärten. Wenn die Propaganda diese Angst nicht weckt, so heizt sie sie auf.

Das jüngste Beispiel, wie rasch sich mit staatlich unterstützter Propaganda ein Krieg mobilisieren lässt, ist der Irakfeldzug. Die Regierungslüge wurde geschickt medienwirksam in die Szene gesetzt und einstimmig von großen Medienanstalten an den Mann gebracht, dass ein kleines, vom Wirtschaftsembargo ausgelaugtes Land, das über 9.000 Kilometer weit lag, ein Land wie USA bedrohen könnte. Patriotisch und im Namen der Freiheit zog die stärkste Armee der Welt gegen eine Handvoll demotivierter Soldaten und Zivilisten ins Feld. Als die Bürger Amerikas mit Hilfe kritischer Stimmen aus Europa endlich erkannten, dass sie von der eigenen Regierung an der Nase herumgeführt wurden, war es bereits zu spät: Die Zustände im Land gerieten völlig außer Kontrolle.

Fernsehen - schleichende Gehirnwäsche

Die suggestive Wirkung von Bildern kann mit Leichtigkeit eine kollektive Bewusstseinsveränderung bewirken und eine scheinbare Einheitsmeinung erzeugen. Man sollte dies nicht sofort als konspirative Verschwörungstheorie abtun und gleich an politische Zensur und totalitäre Ideologien denken. Die Manipulation von Bildern wird in den Medien schon lange bewusst oder unbewusst praktiziert. Es gibt eine große Palette an Möglichkeiten, etwas "richtig in Szene zu setzen" und jemand in einem "besseren oder schlechteren Licht" darzustellen, mit einer gekonnten Schnitttechnik, geschickter Kameraführung und euphonischer Vertonung jemand glaubwürdig darzustellen oder dessen Glaubwürdigkeit ins Gegenteil zu verkehren.

Diese Palette ist wirklich reichhaltig. Wer merkt schon einen bewussten, politisch oder wirtschaftlich motivierten Manipulationsvorgang, wenn man nur eine begrenzte Themenauswahl zu sehen bekommt, politische Gegner ausgeklammert, statistisch gesehen weniger ausgestrahlt oder wichtige Passagen aus dem Kontext ausgelassen und gekürzt werden? Denkt man dabei gleich an undemokratische Methoden?[13] Ebenfalls fällt es dem durchschnittlichen Publikum selten bewusst auf, wenn große Medien künstliche Prioritäten aus redundanten Nachrichten schaffen, die von lokalen Heftchen aufgegriffen und verbreitet werden, wenn die Sendungen mit Musik und Geräuschen 'untermalt' werden, um 'richtige' Stimmung zu erzeugen, die plakative Titelgebung schon im Vorfeld eine Meinung festlegen, Personen durch die Kameraführung kompetent und heldenhaft oder tollpatschig und unglaubwürdig dargestellt werden.[14] Der richtige Hintergrund, ein ausgewähltes Publikum, Licht und Farben wecken, unterstreichen und steuern die Emotionen.

Das ist das eigentliche Problem. Es geht nicht um Vermittlung von Informationen, sondern um die Befriedigung der Sinnesreizen und Schaffung von Gefühlen. Der Fernsehzuschauer soll das Geschehene nicht differenziert objektiv wahrnehmen, sondern fühlen. Medienwirksame Terroranschläge bewirken einen plötzlichen Umschwung politischer Wahrnehmung in der Bevölkerung, die einige politische Gruppen mit Hilfe von Medienanstalten noch weiter anheizen und unpopuläre Bekenntnisse wieder lebendig werden lassen. "Fernsehen wirkt dann als Gedankenmanipulation höchsten Grades. Obwohl es die Menschen ja eigentlich als einen relativ freiwilligen Vorgang wahrnehmen."[15]

Wenn es möglich ist, in kürzester Zeit die Meinung von Millionen Menschen beeinflussen zu lassen - und das wird stets vor den Wahlen mehr als deutlich -, wie können wir dann sicher sein, dass solch ein Machtinstrument nicht in falsche Hände gerät? Das Fernsehen ist ein Machtwerkzeug derjenigen, die die Fäden in der Hand halten, denn jeder kann durch das Medium Fernsehen erreicht werden (Pierre Bourdieu). Schon die Römer wussten, den unzufriedenen Mob mit pompösen "Brot und Spielen" bei Laune zu halten, um gleichzeitig Steuern zu erhöhen oder die Bürgerrechte zu beschneiden. Wie die Nazis die Propagandamaschinerie zur Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie einsetzten, müsste darüber jeder bestens im Bilde sein. In unserer multimedialen Gesellschaft ist die Manipulation von Bildern und Filmdokumenten beinahe ein Kinderspiel, so dass "eine Umformung des gesellschaftlichen Gedächtnisses [ohne weiteres] möglich [zu sein] scheint, auch ohne dass sich die Geheimpolizei besonders darum kümmert." [7]

Nur wenige wären bereit, ihr Fernsehgerät aus ihrem Haushalt zu verbannen, mich eingeschlossen. Neben Konsumpredigten, exhibitionistischen Schlüssellochsendungen und sonstigem sinnlosen Sendeinhalt gibt es auch wertvolle Beiträge, die dem Medium Fernsehen eine Existenzberechtigung in meinen Wohnräumen erlauben. Das Schlüsselwort ist dabei Medienkompetenz - ein selektives Aussieben der Unterhaltungsflut, eine Medienmündigkeit der Bürger.

Die quantitative Flut der Botschaften aus der Werbung und inhaltslosem Entertainment, denen wir nicht ohne weiteres entfliehen können, darf nicht Überhand über unsere Empfindungen gewinnen, unser Willen beeinflussen und uns eine Meinung aufprägen. Insbesondere jene, die viel Fernsehen konsumieren - also Kinder und Jugendliche -, sind der Macht der Bilder schutzlos ausgeliefert. Unter Berücksichtigung, dass die jüngere Generation teilweise bis zu 8 Stunden täglich das Fernsehen konsumiert, kommt dabei heraus, dass die Heranwachsenden bis zum 18. Lebensjahr etwa 1 Mio. Werbespots zu sehen kriegen. Dies kann nicht ohne Folgen an die Denkgewohnheiten bleiben.

Die langsame Unterwanderung der Werte, Überschreitung immer neuer Grenzen und die Schaffung eines einheitlichen Konsens in gewissen Rahmen (Mode, Musik, Schönheitsideal) läuft auf Strukturen hinaus, die man zurecht als Gehirnwäsche bezeichnen könnte. Denn die Gehirnwäsche ist ein langsam ablaufender, schleichender Vorgang. Niemand, der manipuliert wird, fühlt sich manipuliert.

Fernsehen und Gewalt

"Ein extraterrestrisches Wesen, das gerade auf der Erde gelandet ist und sorgfältig untersucht, was wir hauptsächlich unseren Kindern im Fernsehen, im Radio, im Kino, in Zeitungen, Zeitschriften, Comics und vielen Büchern vorsetzen, könnte leicht zu der Schlußfolgerung gelangen, daß wir ihnen Mord, Vergewaltigung, Grausamkeit, Aberglauben, Leichtgläubigkeit und Konsumdenken beibringen wollen." [7] "Die Massenmedien suggerieren vielen Menschen, dass Erfolg und Wohlstand schnell und einfach zu haben sind. Uns wird immer wieder erzählt, dass Wohlstand hauptsächlich davon abhängig ist, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und nicht davon, der Gemeinschaft etwas von Wert beizusteuern. Fachwissen und harte Arbeit wurden durch Lotterien, Glücksspiele, Börsenspekulationen, Hollywood, Sportstars, Fernsehspielshows usw. abgewertet [...] So glauben heute viele Menschen, einen Anspruch auf Wohlstand zu haben, so dass sie sich betrogen fühlen, wenn sie nicht erfolgreich sein. [sic]"[16]

Der angestrebte Zustand des Erfolgs bleibt gesetzmäßig nur den wenigsten vorbehalten. In Zeiten der Globalisierung, des mäßigen Wirtschaftswachstums und Hartz IV lässt schnell im Hintergrund illusorischer Bilder Wut entstehen, die sich aus biologischen und sozialbehavioristischen Gründen vor allem bei Jugendlichen manifestiert. Sie fühlen sich als Verlierer.

Das Ansteigen der Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen allein auf den übermäßigen Fernsehkonsum zurückführen zu wollen, sollte natürlich mit Vorsicht vorgetragen werden. Ein komplexes gesellschaftliches Verhalten ist nie monokausal. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass der Trend in die Richtung geht, dass Gewaltdarstellungen im Fernsehen gegen Gewalt desensibilisieren und aggressives Verhalten fördern. Die meisten Langzeitstudien führen ebenso zu diesem Ergebnis.

Auch Vergleichsstudien an Tieren belegen diese These, dass die Darstellung der Gewalt sie gegen die Gewaltanwendung desensibilisiert. Im Gehirn gibt es Moleküle zur Unterdrückung der Aggression (Gamma-Amino-Buttersäure und Serotonin). Wie die Untersuchungen an Laborratten zeigen, beruhigen sich aggressive Tiere, wenn man ihnen eine Dosis dieser Chemikalien zuführt. Friedvolle Ratten werden im Gegenzug aggressiver, wenn der Gehalt dieser Neurotransmitter sinkt. "Wenn eine Ratte damit beschäftigt ist, andere Ratten bei Gewalttätigkeiten zu beobachten - etwa beim Töten von Mäusen -, dann sinkt bei ihr das Niveau der hemmenden Gehirnchemikalien ab. [...] Sie wird nun leichter selbst Aggressionen begehen, und zwar nicht nur gegen Mäuse. Ihre unterdrückten Aggressionsneigungen sind enthemmt worden. Auch die aller anderen Ratten in der unmittelbaren Umgebung. Feindseligkeit, die bei verschiedenen Individuen jeweils unterschiedlichen Ausdruck findet, kann sich schnell in der ganzen Gruppe ausbreiten. [...] Gewalttätigkeit ist ansteckend."[17]

Ist dieses Verhalten auch auf den Menschen übertragbar? Eine klare Aussage ist insofern schwierig, weil Langzeitstudien aufgrund der starken Verbreitung des Mediums Fernsehen nahezu unmöglich sind. Nahezu. Einer Forschergruppe[18] gelang es jedoch, eine kleine Stadt in Kanada aufzuspüren, in der bis 1973 aufgrund ihrer geografischen Lage kein Fernsehen gab. Um die Anonymität zu wahren, gab man der Stadt der Namen Notel ("no television"). In zwei benachbarten Orten, die als Kontrollgruppen dienten, gab es bereits Fernsehen. Seit sieben Jahren in der Stadt Unitel mit nur einem Kanal und seit fünfzehn Jahren in der Stadt Multitel mit vier Kanälen. Zwei Jahre nach der Einführung des Fernsehens in Notel werteten die Medienforscher ihre Ergebnisse aus: Innerhalb dieser Zeit seit de Beginn der Studie verdoppelte sich bei den Schulkindern in Unitel die verbale Aggression, die körperliche Gewalt verdreifachte sich, während das Aggressionsniveau in den Kontrollorten konstant blieb.[19]

Die Annahme, dass visuelle Medien Gewalt fördern, lässt sich jedoch nicht auf die Gewaltdarstellungen allein zurückführen, sondern auch auf die Machtlosigkeit jedes einzelnen, ein Stück von dieser glamourösen Welt zu erleben, auf die wir, wie wir das vom Fernsehen vermittelt bekommen, einen Anspruch haben. Der spielerisch-leichte Reichtumserwerb in Kombination mit Gewalttaten, wenn in Filmen etwa Bankräuber mit wertvoller Beute entkommen (Ocean’s Eleven, Verlockende Falle und andere Heist-Movies), verwischen die Fiktion und Realität, die Kriminaltaten wie Diebstall und Raubüberfall werden als Kavaliersdelikte dargestellt. Gesundheitlich folgenlose Prügelszenen lassen die Hemmschwelle zur Gewaltbereitschaft weiter sinken.

Schlusswort

Mit Geboten und Verboten lässt sich die Medienlandschaft kaum beeinflussen, da die Fernsehanstalten über eine ungeheuere marktwirtschaftliche Macht verfügen. Mit ihrer Funktion als Sprachrohr der Gesellschaft haben sie eine große Verantwortung zu tragen, die jedoch im Schatten wirtschaftlicher Interessen ausgeblendet wird. Die Möglichkeit, etwas verändern zu können, liegt somit bei jedem Einzelnen. Und sie heißt Medienkompetenz. Wenn sie bereits im frühen Kindesalter erlernt wird, dann kann auch das niveauloseste Programm keinen Schaden in der Gesellschaft anrichten. Ich gebe zu, es klingt utopisch. Dennoch sollte dieses Ziel angestrebt werden. Ein demokratischer Staat braucht mündige Bürger, die aus der Bilderflut das Wichtigste herauszufiltern vermögen, die sich in Kritik üben und die in der Lage sind, eigene, objektive Meinung zu bilden.

Quellennachweise