Gastbeitrag: Dr. Norbert
Gasch
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2. Sterne
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Abb. 3
Das angebliche gebremste Chaos der Sternverteilung
[4] auf der Scheibe von Nebra
zerfällt eigentlich schon beim ersten Blick in eine simple
geometrische Anordnung hoher Symmetrie. Die Lage der Punkte
legt ohne weiteres ihren Charakter als Visurmarken für Auf-
und Untergangspunkte nahe.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und
Astronomie |
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Unter der bisher gewonnenen Erkenntnis empfiehlt sich die Überprüfung
der bisherigen Interpretation der Scheibe. Im Gegensatz zu bestimmten
Veröffentlichungen [4], in denen von
einem angeblichen „gebremsten Chaos auf der Scheibe“ und „willkürlich
angeordneten Sternen“ die Rede ist, kann man ohne weiteres feststellen,
daß die Sterne zu einem recht großen Teil symmetrisch liegen
(Abbildung 3), und zwar zu der Horizontalen, die sich aus den Punkten
links (wurde mit Aufwand versetzt) und rechts (ist indessen unter
dem Bogen verschwunden) ergibt. Offenbar ist dieser Zusammenhang
bisher völlig übersehen worden.
Es ergibt sich sofort ein Verdacht: Wahrscheinlich sind die Punkte
auf der Scheibe keine Sterne, sondern irdische Visurmarken für Auf-
und Untergangspunkte in einer Beobachtungsanlage, wobei in diesem
Fall der Azimut von links (Norden) über oben nach rechts (Süden)
läuft (die Lage der Himmelsscheibe soll jetzt der Übersicht halber
beibehalten werden). Die Anordnung auf der Scheibe ist entweder
künstlerisch um die anderen Objekte ausgeführt worden, oder aber
es handelt sich sogar um den genauen Grundriß einer Beobachtungsstätte
mit Visurpfosten und einem Beobachtungsstandort (eben die „Sonne“).
Damit ist das ganze also keine Sternkarte im üblichen Sinn. Auch
die mitunter deutlich in Reihen auftretenden Visurpunkte geben einen
Hinweis auf Serien von Meßpfosten. Der eigentliche informative Sinn
liegt aber in den Azimutwerten der Punkte. Damit kann man arbeiten
und versuchen, die Punkte auf der Scheibe mit Auf- und Untergangsazimuten
von Sternen, bevorzugt den hellsten, in Übereinstimmung zu bringen.
Nähere Informationen zur Vorgehensweise enthält
Kasten 2. In jedem Fall müssen Präzession, Eigenbewegung und
Refraktion berücksichtigt werden. Es folgen dabei zwei weitere Einsichten:
3. Das ganze Arrangement läßt sich in der Tat mit den Auf- und
Untergangsazimuten der hellsten Sterne identifizieren (Abbildung 4),
insbesondere
Capella und
Sirius. Sirius ist hier entweder künstlerisch durch einen Kranz
Punkte hervorgehoben (etwa: funkelnd, hell), oder es handelt sich
profan und technisch um ein Bündel Meßpfosten zu anderen Zwecken.
Zwei weit südliche Aufgangspunkte können
g
Crucis (170,7 Grad) und womöglich
g
Eridani oder
a Arae
(168,3 Grad) zugeordnet werden. Dabei ist
g Crucis ein recht heller Stern von 1,59 m, dessen Sichtbarkeit Ort
und Zeit der Scheibenherstellung durch Präzession und geographische
Breite einschränkt. Die beiden anderen Sterne sind allerdings
ziemlich schwach. Der Stern
g Eridani (2,95 m) konnte jeweils um
die Wintersonnenwende um Mitternacht kurz am südlichen Horizont
beobachtet werden. Der Stern
a Arae (2,84 m) war hingegen im Sommer
sichtbar. Seine Verwendung klingt wegen der dann herrschenden
sommerlichen Himmelsaufhellung allerdings weniger glaubhaft.
Andererseits ist der Stern durch eine Linie der höher am Himmel
stehenden Sterne
e und
h Scorpii leicht aufzufinden.
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Abb. 4
Viele helle Sterne am irdischen Himmel lassen sich auf
der Scheibe anhand ihrer Visurmarken im Azimut identifizieren.
Angegeben ist hier jeweils der Aufgangsazimut von Nord (links)
über Osten (oben) nach Süden (rechts) für die Sterne der oberen
Scheibenhälfte; für die Sterne der unteren Hälfte wurde vom
Untergangsazimut 180 Grad abgezogen, um die Darstellung zu
vereinfachen. Zwei Punkte, die für den Auf- und Untergangspunkt
desselben Sterns stehen, erhalten so dieselbe Winkelgröße.
Vor allem die Sterne des Orions, aber auch Regulus, Capella
und ganz besonders Sirius passen gut in dieser Konzept (siehe
Tabelle 1).
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und
Astronomie |
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Ohne a
Arae und g
Eridani ergibt sich ein deutliches Minimum (nur gut 0,9 Grad
durchschnittlicher Fehler pro Stern!) für 2400 v. Chr. und 56 Grad
nördliche Breite. (Tabelle 1 und
Abbildung 5).
Mit a
Arae ergibt sich derselbe Wert mit einem Fehler von 1,0 Grad pro
Stern (Tabelle 1 und Abbildung 6).
Mit g
Eridani folgt ein Minimum von 1,45 Grad für 2475 v. Chr. und 56,0
Grad Nord unter einem Fehler von 1,4 Grad pro Stern.
Damit ist die Lösung mit
a Arae eher wahrscheinlich. Wem nun
a
Arae zu unwahrscheinlich vorkommt (obwohl: wir wissen wenig über die
astronomische Praxis), der sei daran erinnert: es geht auch ohne
a
Arae; die Lösung wird ohne den Stern nicht schlechter. Bemerkenswert
ist, daß in Gestalt der Sterne
h und
e Scorpii eine gute Visierlinie auf
a
Arae gibt.
Bemerkenswert ist noch, daß der Azimutwert bei 86,4 besser auf
den Stern Alcyone in den Plejaden paßt als auf den wesentlichen
helleren
Procyon. Die Visur bei 120,4 Grad fällt praktisch exakt auf den
Stern 42 Orionis, der im Zentrum des Nebels M43 liegt. M43 stellt
das nördliche Ende des
Großen Orion-Nebels dar. Der Stern
J1
Orionis im Mittelpunkt von M42 liegt hingegen bei 123,1 Grad Azimut
und scheidet als Lösung aus. Bei der Ermittlung des Minima wurde der
Nebel wegen der Mehrdeutigkeit seiner Sterne nicht berücksichtigt.
4. Schränkt man ein, daß die Sichtbarkeit der Sterne am Horizont
(also Höhe 0 Grad) durch die
Extinktion herabgesetzt sein kann [8]
und rechnet statt dessen mit einer wahren Höhe von einem Grad, so
verschiebt sich die beste Lösung unter größerem Fehler mit oder
ohne a
Arae auf 2375 v. Chr. und 55,0 Grad Nord. Ab zwei Grad wahre Höhe
erhält man nur noch schlechte Lösungen. Offenbar sind die Werte
auf der Scheibe auf null Grad wahre Höhe, also echte Horizontsicht,
ausgelegt; sie können auch entsprechend vom Scheibenhersteller korrigiert
worden sein. Für andere Zeiten und Breiten divergieren die Fehler
auch bei wahrer Höhe Null rasch zu großen Werten, so daß es keine
weiteren Lösungen gibt, insbesondere keine für die Zeit um 1700
v. Chr. und nördliche Breiten von 51 bis 53 Grad.
Die Sache ist also ziemlich eindeutig. Die Scheibe stammt
ursprünglich von woanders her.
In allen Fällen deuten die Werte darauf hin, daß die Scheibe
einen Sternhimmel zeigt, wie er vor rund 4.400 Jahren in Schottland,
Dänemark, Schweden oder dem Baltikum gesehen werden konnte.
Die Plejaden, ein archäoastronomisch geradezu vorausgesetztes
Element, treten auf der Scheibe als einzelner Azimutwert in
Erscheinung; keinerlei Hinweis ergibt sich allerdings für die Sonne.
Das muß aber kein Widerspruch sein, wenn diese Himmelsscheibe nur
Zusammenhänge der nächtlichen Beobachtung darstellen sollte.
Nebenher ergibt sich auch ein Grund für die Sternverteilung an
sich.
5. Die Symmetrie (Abbildung 3) erklärt sich simpel aus der
Beobachtung von Auf- und Untergang des jeweils gleichen Sterns (das
kennt man auch von den Ägyptern zur Richtungsfindung), etwa zur
Zeit- oder Ortsmessung. Die Gestirnsauf- und Untergänge finden dabei
ja immer zur selben Sternzeit statt. Das Interesse könnte also in
der Feststellung der Nachstunden gelegen haben oder im Vergleich der
Sternauf- und Untergänge mit denen der Sonne, die vielleicht an
anderer Stelle beobachtet wurde, um die Bewegung der Sonne durch den
Tierkreis zu verfolgen.
Die spiegelbildliche Interpretation oder die vom Scheibenzentrum
aus liefern keine sinnvollen Azimute, insbesondere nicht für die
hellen Sterne (es paßt also keineswegs „zufällig“ dauernd „alles“!).
Aber dazu mehr weiter unten!
Wer nun auffällige helle Sterne vermißt: Die Visurmarken für
Aldebaran und
Antares liegen für die gefundenen Orte und Zeiten ziemlich nah
bei den der Beteigeuze zugesprochenen Punkte,
Castor bewegte sich am damaligen Himmel ähnlich der
Capella.
Wega,
Großer Wagen,
Arkturus und
Deneb waren zirkumpolar. Für sie gibt es keine Auf- und
Untergangspunkte. Das Fehlen all dieser Sterne erzeugt also keinen
Widerspruch.
Auf Visurbildung zwischen einzelnen „Sternen“ auf der Scheibe
wurde hier verzichtet; davon ergeben sich unüberschaubar viele, die
alle irgendwie zufällig auf irgend etwas hinweisen, ohne daß der
Zusammenhang zu belegen wäre.
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Abb. 6
Für die in Tabelle 1
aufgeführten Sterne minimiert der durchschnittliche Fehler für
bestimmte Zeiten und Breiten auch, wenn
a
Arae berücksichtigt wird. Es ergibt sich dasselbe Minimum für
das Jahr 2400 v. Chr und 56 Grad Nord.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und
Astronomie |
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Abb. 5
Für die in Tabelle 1
aufgeführten Sterne minimiert der durchschnittliche Fehler für
bestimmte Zeiten und Breiten. Hier ist, unter Berücksichtigung
von
g
Crucis aber unter Ausschluß von
a
Arae, deutlich zu erkennen, daß sich ein globales Minimum für
das Jahr 2400 v. Chr und 56 Grad Nord ergibt.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und
Astronomie |
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(c) Dr. Norbert Gasch
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