Gastbeitrag:
Frank Maywald
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Kommentar zur geführten "Neiddiskussion" in der ZDF-Sendung
"Das Philosophische Quartett" vom 25.05.2003
Man könnte es sich auch einfacher machen, indem man zugibt, dass
die Philosophen in allem Recht haben, was sie sagen. Das würde die
Sache ungemein vereinfachen und unsere lästige Gegenwehr unnötig
machen. Aber wir Sozialneider sind auch eitel und müssen etwas zu
Papier bringen.
Neid erfüllt vor dem Hintergrund eines spezifisch abendländisch
geprägten Verweisungshorizontes einen Sinn in Form eines
"universalen Mediums". Es hält Kommunikation am Laufen, sei es auch
nur im Interesse der "Neiderreger".
Sie sind es, um Peter Sloterdjik zu erwähnen, "die es sich
leisten können, gegenüber dem Neidischen entlarvend zu sagen, er ist
neidisch. Entscheidend hierbei ist der kulturelle
Verweisungshorizont, der das Gefühl des Neides als eine Eigenschaft
von Marginalisiertem gedanklich manifestiert.
"Das Argument ist derart tödlich" (Sloterdjik), weil es
semantisch mehr umschreibt als nur das eigentliche Gefühl des
Neides. In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein könnte man sagen, dass
sich die spezifischere Bedeutung kommunikativer Zeichen erst im
Gebrauch innerhalb eines bestimmten situativen Kontextes
konstituiert. Oder jener spezifische Kommunikationsverlauf kann
wiederum auch eine situative Grundstimmung erzeugen, an der sich
ähnlich gelagerte Kommunikationsverläufe anheften können.
Rüdiger Safranski bedient sich denn auch gleich des altbekannten
Klischees vom Unterlegenen, der im (Leistungs-)Vergleich mit anderen
schlechter abschneidet und durch Neidgefühle seine Inferiorität
anderweitig zu kompensieren sucht. Neid wird auf eine "gedankliche
Operation" reduziert, welche die Verantwortung für das eigene
Scheitern bei anderen abzuladen sucht. Um dieser Zuschreibung aber
eine allgemeingültigere Bedeutung anheften zu können, wird im
Zusammenhang mit der biblischen Geschichte von Kain und Abel (1.
Buch Mose 'Genesis') eine "Neidhypothek" unterstellt, die den
vermeintlichen Neider in die Nähe eines potentiellen Totschlägers
rückt.
Die etwas modernere und nonchalantere "Forderung des
Beweisgrundes", worauf sich wohl der Neid gründen mag, besteht in
dem Ausfindigmachen von Personengruppen, die den Neid als
Ressentiment gegen die Erfolgreichen kultivieren. Peter Sloterdjik
spricht im Allgemeinen vom "Müßiggängertum", "Leute, die viel
Freizeit haben, um Neid als Gefühl überhaupt kultivieren zu können."
Genauer, bezogen auf den Adressatenkreis, wird er, wenn er sagt,
dass diese Leute "ihr Leben im Lichte von Benachteiligungen
schildern." Gut zu wissen, dass das "Freisetzten" - was immer man
darunter verstehen mag - den Luxus ermöglicht, auf andere neidisch
sein zu können. Neid wird hier spezifiziert als eine "negative"
Eigenschaft von marginalisierten Personen, denen man gemeinhin noch
andere schlechte Eigenschaften nachsagt.
Dessen ist sich der "Neiderreger" bewusst, deswegen "glaubt er,
dass Schlimmste über jemanden gesagt zu haben", wenn er ihm Neid
vorwirft. Diese Sprache des Neiderregers erfüllt eine ganz
spezifische Funktion einer Repräsentation von Wirklichkeit, nämlich
die, dass Neid ein Gefühl von Unterlegenheit darstellt und nur ganz
bestimmten Personen zuzuschreiben ist.
Das Wesentlichere von Neideffekten bleibt unausgesprochen. Es ist
ein "aus der Teilnahme am Spiel herrührendes Interesse" (P.
Bourdieu) , die Dinge so zu benennen, dass sie ein Fortgang des
Spiels garantieren. Dem Spiel entrinnt niemand, es sei denn, er
verschließt sich gänzlich dieser spielinhärenten Semantik. Schon die
immerwährende Einlassung in das Spiel garantiert die gedanklichen
Eigenlogik von Rede und Gegenrede. Man muss sich auf irgendeine
Seite schlagen, um nicht Niemand zu sein in diesem Spiel. Es sind
die "vielfachen Teilobjektivierungen, denen sich die Teilnehmer (in
einer Art immerwährender Selbstbestätigungen) (...) wechselseitig
unterwerfen." Ein Mediensystem in der Schaffung von sich
"überkreuzender Klarsicht und Blindheit regelt den Antagonismus" (Bourdieu)
von Neiderregern und Neidern. Es geht nicht nur allein um die
"Bedeutung der verwendeten Sinnfiguren in der benannten kulturellen
Architektur", sondern um das "Projekt der gesellschaftlich
relevanten Erkenntnis", die dem Bühnengeschehen eine wirkmächtige
(auf die Sinne bezogen) "Kulissenrealität" verleiht. Wir erfahren
etwas über das Stück auf der Bühne, in der Weise, wie es aufgeführt
wird. Die Realität der Bühne zeigt sich nur im Arrangement ihrer
Aufbauten. (in Anlehnung an Stefan Jensen: Erkenntnis;
Konstruktivismus, Systemtheorie, Westdeutscher Verlag).
Die Neidthematik erzielt seine Plausibilität nicht nur infolge
der rhetorischen Fertigkeiten der beteiligten Akteure, sondern in
Bezugnahme auf eine einfache Evidenz, die nämlich, dass es Neid
unter den Menschen gibt, was jedem einleuchtet und niemand
bestreiten wird. Spezifiziert wird diese These, in dem man von ganz
bestimmten Menschen in ganz bestimmten Lebenssituationen spricht. Es
ist dann eben nicht mehr der Mensch im allgemeinen, sondern der im
Leistungsvergleich Unterlegene, welcher den Ausnahmemenschen um sein
Glück beneidet. Neid wird in diesem Zusammenhang als Ressentiment
der zu kurz Gekommenen, der Mittelmäßigen, ja der schlechten
Menschen gegen die edlen Menschen verstanden. Semantisch gekoppelt
wird diese Einsicht mit dem Hinweis auf die Entstehung einer
gleichmacherischen Soziabilität, die unser "ausufernde" Sozialstaat
zu verantworten hat. Er operiert mit einer verweltlichten
"Ausgleichsmetapher" als Ersatz für die religiöse Heilserwartung.
Die "Gleichheit vor Gott" wird so zu einer "Gleichheit vor dem
irdischen Gesetz".
Dies sei die "Geburt des Sozialstaates", so Rüdiger Safranski.
Weiter fährt der Philosoph fort, in dem er den Sozialstaat
bezichtigt, er wolle allein nur die Quellen des Neides verstopfen.
"Dies (aber) kann (ihm) nicht gelingen, weil mit der Angleichung der
Lebensverhältnisse, die übrigbleibenden Unterschiede (und um die mag
es wohl gehen!) um so neidischer wahrgenommen werden." "Je mehr
vergleichbar (also) die (Lebens-)Verhältnisse werden, um so mehr
Nährboden für Neid ist da".
Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum ein so bürokratisch
aufgeblähter Apparat notwendig sein soll, um all die gegenwärtigen
und zukünftigen Neidhammel in Schach zu halten. Die soziale Frage
resultiert doch wohl eher aus einem Befriedungsbegehren, von dem
Gewerbehandelnde, Bankkaufleute, Politiker, Administratoren,
Lohnabhängige sowie Arbeitgeber gleichermaßen profitieren.
Norbert Elias weist zu Recht daraufhin, dass die gegenseitige
Abhängigkeit der Menschen untereinander Verflechtungszusammenhänge
entstehen ließen. "Durch diese wachsende Funktionsverflechtung
verstärken sich wiederum auch wieder die gegenseitigen
Abhängigkeiten. Der Konkurrenzdruck wächst. Dabei werden auch die
Zwänge, die Menschen aufeinander ausüben, stärker. Es entstand eine
immer größere Notwendigkeit, das Verhalten der anderen Menschen zu
beobachten, und das eigene Verhalten zu kontrollieren (PdZ II,
S.357f), da das Leben von immer mehr Menschen aufeinander abgestimmt
sein musste. Die Anforderungen an eine immer stärkere, umfassendere
und verlässlichere Selbstkontrolle wachsen. Es entsteht so ein
gesellschaftlicher Zwang zur Langsicht, zu einer immer
differenzierteren Selbstdisziplinierung. Zunächst nur in kleinen
Funktionszentren der Oberschicht, durch sich verlängernde
Interdependenzketten pflanzt sich diese Transformation der
gesellschaftlichen Funktionen und damit des Verhaltens und des
gesamten psychischen Apparates jedoch fort und breitet sich aus zu
einem Prozess, der nun im historischen Rückblick als "abendländische
Zivilisationsbewegung" (PdZ II, S.362) bezeichnet wird". (Norbert
Elias: Prozess- und Figurationssoziologie)
Dieser "abendländischen Zivilisationsbewegung" und nicht nur den
kurzsichtigen Feudalinteressen eines Junkers ist es vermutlich zu
verdanken, das so etwas wie der soziale Rechtsstaat entstand. Es ist
sicherlich eine große Portion Pragmatismus dabei gewesen, um solch
ein aufwendiges Befriedungswerk zu schaffen, und dieser Pragmatismus
lässt sich auch nicht auf den Willen reduzieren, für entgültige Zeit
"die Quellen des Neides zu verstopfen".
Es wäre tatsächlich ein vergebliches Bemühen, denn laut Rüdiger
Safranski wird der Neid nicht verschwinden. "Dazu ist er zu
elementar". "Man muss ihn zivilisieren" - sei es nun "in der Form
des Wettbewerbs oder der produktiven Form des Ehrgeizes." Die
produktive Form des Ehrgeizes, so wie es Safranski nennt, hat sich
nie wirklich durchsetzen können. Den schon in den Anfängen unserer
schulischen Erziehung wird diese Form des Ehrgeizes, zumindest bei
Unterschichtangehörigen, im Keime erstickt. Was nicht sein kann,
darf auch nicht sein. Übrig blieb der tödliche Ergeiz machthungriger
Politiker und profitorientierter Eliten in Wirtschafts- und
Kulturbetrieben.
Der Sozialstaat ist zu lange für viele zum Selbstzweck verkommen,
nicht nur für die Leistungsbezieher, sondern auch für die
Funktionsträger. Längst hat dieser doch schon eine ganz andere
Funktion erfüllt, diese nämlich, dass man Menschen durch minimale
Existenzsicherung am Rande der Gesellschaft lieber unmündig hielt,
jegliche Eigeninitiative in den Teilen der Armutsbevölkerung nur
unter ganz bestimmten Prämissen duldete. Die sogenannte Arbeit mit
geregeltem Einkommen war doch lange der angebliche Beweis für
Rechtschaffenheit und Fleiß. Die Arbeit mit dem geregelten Einkommen
gibt es nur noch für wenige Bürger, andere beziehen
Arbeitslosengeld, Arbeitslosen- oder Sozialhilfe, während wieder
andere im Niedriglohnsektor ihr Geld verdienen müssen. Sie sind es,
auf die gekonnt mit dem Vorwurf des Neides gezielt wird.
Die Wirkung bleibt nicht aus. Das schlechte Gewissen regt sich -
aber nur unter diesen Leuten. Diese Treffsicherheit verdankt sich
einer perfiden Rhetorik auf hohem Niveau. Herr Sloterdijk und Herr
Safranski, bedienen sich inzwischen gern dieser Rhetorik. Sie
scheinen auch Menschen zu sein, die sich dem sozial Andersartigen
gegenüber eher mit Skepsis und Abwehr verhalten. "Um das Unbekannte
gleichsam emotional und kognitiv zu bändigen, formen diese Menschen
Bilder, die eine scharfe Grenze zu ihnen selbst markieren und die
Grundlage für vereinfachte, verallgemeinerte und starre Urteile
bilden: Stereotype!" (Daniel Gredig: Dekadent u. gefährlich,
Vorwort.)
Die Fähigkeit zur "Wahrnehmung, Reflexion und Urteilsbildung",
sollte dem Philosophen aber den Unterschied verdeutlichen zwischen
bloßen Überzeugungen und grundsätzlicheren Klärungsversuchen. Die
"Besten unter uns" geben aber lieber ihren Launen nach, lassen sich
für ihre zeitgemäßen Exegesen gut bezahlen. Dafür sollen wir sie
also beneiden.
(c) Frank Maywald
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