Historische Seuchen

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(mittelhochdeutsch siuche, siech „schwach“, „krank“)

Seuchen waren für Menschen schon immer eine gefürchtete biblische Plage. Auch wenn Menschen darin eine Strafe Gottes sahen, wussten sie dennoch, dass die Kranheiten über unmittelbaren Körperkontakt übertragen wurden. Sie kamen plötzlich und überrollten wie ein Lauffeuer Dörfer, Städte, Länder. Menschen waren ihnen schutzlos ausgeliefert. Es war der Inbegriff der Apokalypse.

Weniger apokalyptisch, aber umso schmerzvoller war die große Kindersterblichkeit. Bis in die Moderne hinein erlebte jedes vierte Kind seinen vierten Geburtstag nicht. Schuld daran waren Kinderkrankheiten, die erst im 20. Jahrhundert dank großflächiger Impfungen erfolgreich bekämpft werden konnten. Seit dem Altertum konnten Eltern sich lediglich mit dem schwachen Trost abfinden, ihre verstorbenen Kinder seien jetzt Engel im Himmel.

Ursprung der Seuchen

Menschliche Totenschädel im Beinhaus Mělník. In den Beinhäusern wurden meist Knochen von geräumten Friedhöfen gestapelt, um Platz für die Pestopfer zu schaffen.

Alle Seuchen stammen ausnahmslos von den Tieren ab. Insbesondere die Domestizierung der Wildtiere und der enge Kontakt mit ihnen - Bauern schliefen mit ihrem Vieh sogar unter einem Dach, um von der Wärme der Tiere zu profitieren - Betrug zur Entstehung einer Reihe von Infektionskrankheiten. Von den sogenannten Kinderkrankheiten bis hin zu raspirstorischen Erkrankungen einschließlich der echten Grippe. Heute können wir den Sprung des Tiererregers auf den Menschen live im Keim der SARS-CoV-2-Pandemie beobachten. Der Sprung eines Erregers vom Tier auf den Menschen direkt oder über einen Zwischenwirt wird Zoonose genannt.

Neu entstandene Zoonosen verlaufen beim Menschen meist schwer bis letal, weil der Erreger an den Menschen als Wirt noch nicht angepasst ist. Wildtiere, die das Virus oder Bakterium schon seit Jahrtausenden in sich tragen, erkranken gar nicht daran.

Besonders im ausgehenden Mittelalter kamen viele Infektionskrankheiten auf Handelswegen aus Asien und Afrika nach Europa. Lepra kam durch den Fellhandel aus Indien, wo es zuvor aus Ostafrika eingeschleppt wurde, nach Westeuropa um 500 n. Chr. Die gefürchteten Pocken, die sich Epidemieartig im Mittelmeerraum ausbreiten und als Antoninische Pest in die Geschichte eingingen, brachten römische Legionäre aus dem heutigen Irak mit. Scharlach wurde im 9. Jahrhundert nach Europa eingeschleppt und der Pesterreger nahm seinen tödlichen Lauf um den Globus irgendwo zwischen China und Mongolei.

Rätselhafte Krankheiten

Eine Reihe von Krankheiten geben bis heute Rätsel auf.

Attische Seuche

Eine der ersten gut dokumentierten Infektionskrankheiten, über deren Ursprung man heute nichts weiß, war die Attische Seuche. Sie trat im antiken Griechenland während der Belagerung von Athen durch die Spartaner zwischen 430426 v. Chr. auf. Die Krankheit wurde vom griechischen Historiker Thukydides in einem seiner acht Bücher über den Peloponnesischen Krieg beschrieben.

Der junge Historiker, damals ca. 31 Jahre alt, erkrankte selbst an der Krankheit, überlebte jedoch. Die von ihm beschriebenen Symptome spürte er sozusagen am eigenen Leib. Die Krankheitsanzeichen kamen plötzlich und heftig. Zunächst traten grippale Symptome mit Halsschmerzen, Schnupfen und übelriechendem, unregelmäßigen Atem auf. Darauf folgten Magenkrämpfe, Übelkeit und Brechreiz. Die Krankheit setze sich von oben nach unten fort, erreichte Schambereich, setzte sich bis in die Finger- und Zehenspitzen fort. Angeblich sollen viele Erkrankte ihre Extremitäten verloren haben. Die Haut war von Bläschen übersäht, innerlich brannte der Körper, so dass Menschen aus Verzweiflung in Brunnen sprangen. Die Menschen plagten Krämpfe und Durchfall. Auch Tiere sollen sich angesteckt haben. Thukydides konnte jedoch beobachten, dass Genesene nicht erneut krank wurden.

In der Stadt starb ein Viertel der Bevölkerung an der Seuche, rund 30.000 Menschen. Unter den bekanntesten Opfern war der Vater der athenischen Demokratie Perikles. Die Angst vor der Krankheit soll so groß gewesen sein, dass sogar die Spartaner auf die Stadteinnahme verzichtet hätten.

Anhand der von Thukydides beschriebenen Symptome wurde schon lange gerätselt, um welche Infektionskrankheit es sich bei der Attischen Seuche handelte. Die Fachwelt kam zu keiner einheitlichen Meinung. Bislang gibt es gutes zwei Dutzend Kandidaten, die als Erreger in Frage kommen. In Summe passen die Symptome zu keinem der heute bekannten Erreger. Es ist auch möglich, dass es sich um einen unbekannten Infektionsträger handelte, der danach nicht mehr auftrat.

Tanzwut

Im Jahr 1374 beobachteten Zeitzeugen in Aachen mehrere tanzende Menschen. Männer, Frauen und Kinder tanzten ekstatisch mehrere Stunden am Stück, immer wilder, ohne Pause, ohne Essen und Trinken. Sie zogen durch die Straßen und andere Menschen stießen hinzu. Sie tanzten so lange, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen. Einige sollen dabei den Tod gefunden haben. Dieses Phänomen wurde als Tanzwut genannt. Eine mysteriöse Erscheinung, für die es einige Erklärungsansätze gab, aber keine zufriedenstellende. Und es blieb nicht bei einem Mal. Die Tanzwut trat an mehreren Orten in Europa zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert auf. Danach wurde es nie wieder beobachtet. Eine mögliche und wahrscheinlichste Erklärung für die massenhaften manischen Tänze war die Vergiftung mit Mutterkorn, der ab einer bestimmten Dosierung eine halluzinogene Wirkung haben kann. Aber eine Infektion kann auch nicht ausgeschlossen werden.

Englischer Schweiß

Im Jahr 1485 zeigten Menschen vielerorts in England eigenartigen Symptome: Kopfschmerzen, Schwindel, Schüttelfrost, gefolgt vom Ausbruch eines übelriechenden Schweißes, Herzrasen und Benommenheit. Viele starben nach Einsetzten der Symptome binnen 24 Stunden. Jene, die die ersten 24 Stunden überstanden, wurden meist wieder gesund. Es blieb jedoch nicht ausgeschlossen, dass sie sich noch ein zweites Mal anstecken konnten. Die Krankheit wurde nach dem wesentlichen Symptom und dem Entstehungsort benannt: Englischer Schweiß. In den Jahren 1506, 1517, 1528, 1529 und 1551 kam es erneut zu Krankheitsausbrüchen, die auch auf dem europäischen Festland beobachtet wurden. Bis heute hat man keine Erklärung für die Entstehung dieser Infektionskrankheit.

Picardsches Schweißfieber

Im Jahre 1718 trat in der nordfranzösischen Provinz Picardie eine Krankheit auf, die symptomatisch dem Englischen Schweiß ähnelte, sich aber zusätzlich auch durch Nasenbluten und Hautausschlag kennzeichnete. In Deutschland erhielt die Krankheit den Namen Picardsches Schweißfieber. Die Infektionskrankheit trat in mehreren Wellen zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert auf, blieb aber nur auf ein relativ kleines Gebiet zwischen Deutschland und Frankreich beschränkt. Das letzte Mal soll das Picardsche Schweißfieber 1918 aufgetreten sein.

Spanische Grippe

Das Jahr 1918 läutete das Ende des zermürbenden Ersten Weltkriegs ein, war aber der Beginn einer neuen Pandemie, die weit mehr Menschenleben als der gesamte Krieg forderte. Es war die Spanische Grippe - ein neuartiges Influenzavirus, das einen Sprung von Vögeln auf den Menschen geschafft hat.

Siehe auch