Spanische Grippe

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Die Spanische Grippe war eine Influenza-Pandemie, die sich zwischen 1918 und 1919 pandemisch über die ganze Welt ausbreitete. Das Influenza-Virus war eine Abart vom Virus der Vogelgrippe (Subtyp A/H1N1). Kurz vor dem Ausbruch der Pandemie sprang das Virus infolge einer Mutation auf den Menschen über (Zoonose). Von diesem Virus stammen viele der aktuellen Grippeviren ab. Es handelt sich um das Stammvirus H1N1. Während der 18 Monate andauernden Pandemie wurden rund 550 Millionen Menschen von dem Virus angesteckt. Das waren 30 Prozent der damaligen Weltbevölkerung. Schätzungen zufolge starben an den Folgen der Spanischen Grippe über 50 Millionen Menschen, circa 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung der Erde. Mehr als Soldaten auf den Schlachtfeldern und Zivilisten im Ersten Weltkrieg. Die absoluten Opferzahlen waren mit denen der Pestpandemie in Europa von 1347/1352 vergleichbar und waren deutlich höher als die bisherige Zahl der Opfer durch das HI-Virus.

Die Entstehung der Spanischen Grippe

Lange hat man gerätselt, woher die Infektion ihren Anfang nahm. Die Bezeichnung "Spanische Grippe" verdankt die Infektion nicht etwa dem geografischen Ursprung, sondern dem Umstand, dass im damaligen neutralen Spanien kaum Zensur herrschte und über die rätselhafte Krankheit berichtet werden durfte, während die Kriegsparteien Mittelmächte und die Alliierten den Ausbruch zunächst totzuschweigen versuchten.

Heute weiß man, dass die schlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nicht auf den Schlachtfeldern Europas nahm, sondern im weit entfernten Amerika. Tag Null der Pandemie war der 4. März 1918. Allem Anschein nach war der Patient Null der Geflügelzüchter Albert Gitchell, auf den das Virus von seinen Tieren übersprang. Kurz nach der Ansteckung wurde er in die Army eingezogen, wo er in einem Ausbildungscamp eine Stelle als Koch bekam. Sehr bald wurden andere Soldaten krank. Noch nichts ahnend schleppen sie die Seuche nach Europa, wo sie sich in den Schützengräben und unter der zivilen Bevölkerung auszubreiten begann.

Krankheitsverlauf

Die Inkubationszeit bei der Influenza beträgt ein bis zwei Tage. Nach dem Auftreten der ersten Symptome nahm der Krankheitsverlauf in schweren Fällen einen raschen Lauf. Manche Menschen starben innerhalb von 2 bis 3 Tagen nach Beginn der Krankheit. Die Symptome der Spanischen Grippe waren die der typischen Influenza ähnlich, fielen jedoch heftiger aus: plötzliches Unwohlsein, Gliederschmerzen, trockener Reizhusten, Fieber über 40 °C. Typisch für die Spanische Grippe war eine Blaufärbung der Haut, die auf Sauerstoffmangel zurückging (Zyanose). Bei der Spanischen Grippe waren vor allem nicht alte Menschen betroffen, sondern junge, gesunde Menschen in einem Alter zwischen 20 und 40. Das war sehr untypisch für eine Grippeinfektion, für die normalerweise Kinder und Alte anfällig sind. Die Todesrate betrug bis zu 25 Prozent mehr als durch normale Grippe. Die Letalität betrug mindestens 2,5 Prozent aller Erkrankten. Sehr viele Patienten starben nicht an der eigentlichen Virusinfektion, sondern an darauffolgender bakterieller Lungenentzündung (Superinfektion).

Pandemie

Die Grippepandemie trat in drei Wellen auf, wobei die zweite Welle am heftigsten ausfiel. Die erste Welle im Frühjahr 1918 verlief weitgehend unbemerkt und wurde zusätzlich noch durch Propagandamaßnahmen stillgeschwiegen. Im Sommer zog sich das Virus saisonbedingt zurück. Am Ende des Sommers war es jedoch wieder da, und der erneute Ausbruch hatte katastrophale Folgen. Die zweite Welle ging Ende August 1918 fast gleichzeitig von den Hafenstädten Boston (USA), [[Brest (Frankreich) (Frankreich) und Freetown (Sierra Leone) aus. In den Vereinigten Staaten war es die Stadt Philadelphia, die die Pandemie am schwersten traf. Im Gegensatz zu anderen Städten, die mit Verschärfung der Hygienemaßnahmen für die damaligen Verhältnisse reagierten, unterschätzten die Behörden in Philadelphia die Gefahr. Dort starben im ersten Monat nach Ausbruch der Infektion rund 11.000 Menschen. Allein am 10. Oktober 1918 starben in der Stadt 759 Menschen. Beerdigungsinstitute schafften es nicht, die Toten rechtzeitig zu beerdigen. Die Leichen mussten mehrere Tage zu Hause liegen. Philadelphia war in den USA der am meisten betroffene Ort.

Die amerikanische Armee verlor etwa genauso viele GIs durch die Grippe wie durch die Kampfhandlungen während des Ersten Weltkrieges.

In Europa war die öffentliche Wahrnehmung mehr durch Kriegshandlungen überschattet. So tat man die Grippe in Deutschland als Kriegsseuche ab. Aber auch dort ging die Zahl der Opfer in Hunderttausende.

Wahrnehmung der Krankheit durch Zeitzeugen

Als die spanische Grippe ausbrach, hatten Menschen überhaupt keine Ahnung, was es für eine Krankheit war. Einige vermuteten, dass die Seuche durch vergiftete Konservendosen aus Spanien importiert wurde. Zeitzeugen nannten die Grippe „Spanische Krankheit“. Amerikaner vermuteten hinter der Erkrankung vergifteten Fisch, den deutsche Agenten präpariert hätten. Die New York Times schlug sogar vor, die Krankheit als „Deutsche Grippe“ zu benennen. Währenddessen nannte man die Grippe in Deutschland „Flandern-Fieber“.

Dass für die Pandemie ein Virus verantwortlich war, wurde erst in den 1930er Jahren des 20. Jahrhundert nachgewiesen, als die Viren zum ersten Mal unter Laborbedingungen isoliert werden konnten. Zwar sprach man noch im 19. Jahrhundert von Viren, doch darunter verstand man Erreger aller Art. In Russland wurde Spanische Grippe gar für die Lungenpest gehalten.

Nachweis des Grippe-Virus

Lange Zeit war es in der Fachwelt umstritten, ob es sich bei dem Erreger überhaupt um ein Grippevirus handelte. 1951 suchte der schwedische Doktorand Johan Hultin nach dem Beweis für das Grippevirus. Zusammen mit seiner Frau bereiste er Amerika. Als es sie beide nach Alaska verschlug, hatte der spätere Pathologe die Idee, ob es möglich wäre, eine Leiche aus dem Permafrost zu exhumieren und ein intaktes Virus aus der Lunge zu isolieren. Hultin nahm Kontakt zu Ureinwohnern auf und besorgte sich Karten auf der Suche nach einem der Massengräbern der damaligen Zeit. Mit der Zustimmung seiner Universität machte er sich an die Arbeit. Auch wenn es ihm gelang, die Friedhöfe mit den Opfern der Pandemie ausfindig zu machen, waren die Körper knapp 30 Jahre nach dem Begräbnis so weit verwest, dass man kein intaktes Virus isolieren konnte. Auch wenn es ihm nach langer Suche dennoch gelang, Leichen mit erhaltenen Weichgewebe zu exhumieren, gelang es im Labor nicht, lebendes Virus aus den sterblichen Überresten zu isolieren.

Der Durchbruch gelang mehr als vierzig Jahre später, als es Hultin, der inzwischen im Ruhestand war, gelang, ein Massengrab in Brevig Mission, Alaska zu öffnen, in dem der Körper einer korpulenten Inuit-Frau in einem fast unverwesten Zustand entdeckt wurde. Die Fettschicht bildete eine Schutzschicht, die den Körper vor Verwesung schützte. Dieses Phänomen kennt man von sogenannten Wachsleichen. Es gelang schließlich, intakte RNA aus dem Lungengewebe der Frau zu gewinnen und mittels Polymerase zu replizieren. Dabei konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Virus um ein echtes Grippevirus des Typs H1N1 handelte. Die im Jahr 2009 aufgetretene Schweinegrippe-Pandemie war vom gleichen Serotyp wie das Virus der Spanischen Grippe.

In Tierversuchen erwies sich das rekonstruierte Virus als extrem aggressiv. Die Labormäuse starben schneller als durch jedes andere bekannte Influenza-Virus des Menschen. Im Jahr 2003 konnte durch Reid et al. bestätigt werden, dass das Virus zu den Influenza-A-Viren gehörte, von denen auch das Vogelgrippevirus vom Typ A/H5N1 abstammt.

Prominente Opfer und öffentliche Wahrnehmung

Die Infektion machte keinen Unterschied zwischen Arm und Reich oder dem sozialen Stand. So forderte die Seuche auch prominente Opfer. Unter den bekanntesten Opfern der Spanischen Grippe waren Egon Schiele, Guillaume Apollinaire, Max Weber und deutscher Auswanderer Frederick Trump, Großvater des US-Präsidenten Donald Trump.

Sehr rührend war das Schicksal der Rosalia Lombardo, der Tochter des italienischen Generals Mario Lombardo. Das Kind starb eine Woche vor seinem zweiten an der Spanischen Grippe. Der General ließ den Leichnam seiner Tochter einbalsamieren und in der Kapuzinergruft in Palermo in einem Glassarg bestatten. Heute gehört der Körper des Kleinkinds zu den besterhaltenen Mumien der Neuzeit.

Interessanterweise wurder die Erinnerung an die Spanische Grippe aus dem kollektiven Bewußtsein weitgehend verdrängt und ausgelöscht. Im Gegensatz zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Die Erinnerungen an die Spanische Grippe rückten in die öffentliche Wahrnehmung erneut nach dem Ausbruch des Coronavirus 2019/2020, der eine Pandemie des globalen Ausmaßes wie die der Spanischen Grippe hervorgerufen hat.