Gerhard Schröder hat der Regenbogenpresse Boykott angesagt. Dies trifft vor allem auf das in Deutschland beliebteste Boulevard-Blatt "Bild", deren Berichtserstattung der Bundeskanzler als eine "Mischung aus Häme, aus Hetz, aus Verächtlichmachung" bezeichnet hat. Regierungssprecher Béla Anda hatte erklärt, Schröder werde keine Interviews mehr den Bildzeitungsredakteuren geben.

Dass die Boulevardpresse es nicht genau mit der unvoreingenommenen Informationsübermittlung nimmt, ist an sich nichts Neues, aber dass die Medien das Politikgeschehen zunehmend als Show präsentieren, ist eine demokratiegefährdende, neomediale Entwicklung unserer Gesellschaft. Davor warnte nicht nur seinerzeit der berühmte Medienkritiker Neil Postman, sondern auch der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Die Politik wird zunehmend auf ein polemisches Talk-Show-Niveau reduziert, wo es zumeist darum geht, mit personifizierten Sündeböcken (Viagra-Kalle, Florida-Rolf) eine Hetzjagd auf meist unbedeutende Vorfälle zu machen. Das vermittelt den Konsumenten dieser Medien ein verzerrtes und invertiertes Bild der Politik und lenkt, wie in den genanten Beispielen, vom Wichtigeren ab.

Die zugespitzte, kanalisierte Berichterstattung, wie sie in der sensationslüsternen Boulevardpresse üblich ist, kann bei einigen ihrer Leser, die es mit der Skepsis üblicherweise nicht genau nehmen, eine neokonservative Sichtweise der Dinge zur Folge haben, die in ihrer Form oft einfache Lösungen bietet, wie sie bei extremistischen Vereinigungen üblich ist. Die Konsumenten der Boulevardpresse sind für demokratiegefährdendes Gedankengut empfänglicher als die Leser kritischer Printmedien. Der Protest fast aller Medienvertreter nach dem Bildzeitung-Boykott entzieht sich somit meinem Verständnis.

Wolfgang Thierse hat sich bereits im November vergangenen Jahres kritisch über die Berichtserstattung der Medien geäußert, dass die Boulevardblätter und die privaten Fernsehanstalten "weniger die Inhalte als die 'events' wie Sieg oder Niederlage des Bundeskanzlers oder Auftritte von Abweichlern in den Vordergrund stellen ... Ein Medium fängt an, alle anderen folgen, fühlen sich verpflichtet, eine Sache zu behandeln, nicht weil sie als wichtig gilt, sondern weil andere sie wichtig gemacht haben. Dieses Leitmedium ist meist 'Bild' ... Die Medien entfernen sich weiter von der Politik und folgen stärker ihrer eigenen Logik." [1] Ferner sprach Thierse vom "Diktat der Unterhaltung" und "Boulevardisierung der Politik".

"’Bild’ hindert das nicht, das älteste antiparlamentarische Vorurteil hervorzukramen, 'Blablabla', Politiker redeten nur und würden nichts tun. 'Tut endlich was!' hieß es im klaren Widerspruch zur politischen Wirklichkeit. Wenn wir wieder so weit sind, das Parlament als 'Schwatzbude' abzutun, obwohl es keine ist, befinden wir uns erneut auf einem Weg, auf dem schon 1848 und 1933 alle demokratischen Hoffnungen und individuellen Freiheiten geopfert worden waren ... Journalistische Qualität muss sich gegen die Zwänge kommerzieller Logik und gegen das Diktat der Unterhaltung durchsetzen können ... Dem Leser nach dem Munde zu schreiben, ihn zu unterfordern, ist wie eine Kapitulation; es ist die scheinheilige Verlagerung von Verantwortung an das Publikum." [1]


[1] Rede des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, aus Anlass des MAINZER MEDIEN DISPUTS am 4. November 2003 "Der Zwang zur Unterhaltung und der Ernst der Politik", www.bundestag.de/presse/presse/2003/pz_0311043.html

- es sind noch keine Kommentare vorhanden -

Comment-Script (c) by Alex Ilosuna