Die Himmelsscheibe von Nebra: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Sterne ===
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[[Bild:Nebra-schebe 3.jpg|thumb|250px|'''Abb. 3'''<br>Das angebliche gebremste Chaos der Sternverteilung<ref>W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.</ref> auf der Scheibe von Nebra zerfällt eigentlich schon beim ersten Blick in eine simple geometrische Anordnung hoher Symmetrie. Die Lage der Punkte legt ohne weiteres ihren Charakter als Visurmarken für Auf- und Untergangspunkte nahe.<br>Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie]]
[[Bild:Nebra-schebe 3.jpg|thumb|250px|'''Abb. 3'''<br>Das angebliche gebremste Chaos der Sternverteilung<ref>W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.</ref> auf der Scheibe von Nebra zerfällt eigentlich schon beim ersten Blick in eine simple geometrische Anordnung hoher Symmetrie. Die Lage der Punkte legt ohne weiteres ihren Charakter als Visurmarken für Auf- und Untergangspunkte nahe.<br>Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie]]
[[Bild:Nebra-schebe 6.jpg|thumb|250px|'''Abb. 4'''<br>Viele helle Sterne am irdischen Himmel lassen sich auf der Scheibe anhand ihrer Visurmarken im Azimut identifizieren. Angegeben ist hier jeweils der Aufgangsazimut von Nord (links) über Osten (oben) nach Süden (rechts) für die Sterne der oberen Scheibenhälfte; für die Sterne der unteren Hälfte wurde vom Untergangsazimut 180 Grad abgezogen, um die Darstellung zu vereinfachen. Zwei Punkte, die für den Auf- und Untergangspunkt desselben Sterns stehen, erhalten so dieselbe Winkelgröße. Vor allem die Sterne des Orions, aber auch Regulus, Capella und ganz besonders Sirius passen gut in dieser Konzept (siehe [[Die Himmelsscheibe von Nebra/Tabelle 1|Tabelle 1]]).<br>Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie]]
Unter der bisher gewonnenen Erkenntnis empfiehlt sich die Überprüfung der bisherigen Interpretation der Scheibe. Im Gegensatz zu bestimmten Veröffentlichungen<ref>W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.</ref>, in denen von einem angeblichen „gebremsten Chaos auf der Scheibe“ und „willkürlich angeordneten Sternen“ die Rede ist, kann man ohne weiteres feststellen, daß die Sterne zu einem recht großen Teil symmetrisch liegen (Abbildung 3), und zwar zu der Horizontalen, die sich aus den Punkten links (wurde mit Aufwand versetzt) und rechts (ist indessen unter dem Bogen verschwunden) ergibt. Offenbar ist dieser Zusammenhang bisher völlig übersehen worden.
Unter der bisher gewonnenen Erkenntnis empfiehlt sich die Überprüfung der bisherigen Interpretation der Scheibe. Im Gegensatz zu bestimmten Veröffentlichungen<ref>W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.</ref>, in denen von einem angeblichen „gebremsten Chaos auf der Scheibe“ und „willkürlich angeordneten Sternen“ die Rede ist, kann man ohne weiteres feststellen, daß die Sterne zu einem recht großen Teil symmetrisch liegen (Abbildung 3), und zwar zu der Horizontalen, die sich aus den Punkten links (wurde mit Aufwand versetzt) und rechts (ist indessen unter dem Bogen verschwunden) ergibt. Offenbar ist dieser Zusammenhang bisher völlig übersehen worden.


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Auf Visurbildung zwischen einzelnen „Sternen“ auf der Scheibe wurde hier verzichtet; davon ergeben sich unüberschaubar viele, die alle irgendwie zufällig auf irgend etwas hinweisen, ohne daß der Zusammenhang zu belegen wäre.
Auf Visurbildung zwischen einzelnen „Sternen“ auf der Scheibe wurde hier verzichtet; davon ergeben sich unüberschaubar viele, die alle irgendwie zufällig auf irgend etwas hinweisen, ohne daß der Zusammenhang zu belegen wäre.
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Nebra-schebe 7.jpg|'''Abb. 5'''<br>Für die in Tabelle 1 aufgeführten Sterne minimiert der durchschnittliche Fehler für bestimmte Zeiten und Breiten. Hier ist, unter Berücksichtigung von g Crucis aber unter Ausschluß von a Arae, deutlich zu erkennen, daß sich ein globales Minimum für das Jahr 2400 v. Chr und 56 Grad Nord ergibt.<br>Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie
Nebra-schebe 8.jpg|'''Abb. 6'''<br>Für die in Tabelle 1 aufgeführten Sterne minimiert der durchschnittliche Fehler für bestimmte Zeiten und Breiten auch, wenn a Arae berücksichtigt wird. Es ergibt sich dasselbe Minimum für das Jahr 2400 v. Chr und 56 Grad Nord.<br>Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie
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=== Und noch mal der Mond ===
Zusätzlich findet sich für die angegebene Epoche und Breite womöglich auch noch die südliche Große Mondwende (Abbildung 7). Dieses Visurenpaar wird durch die Sichelspitzen des Mondes und der Sonnenmitte aufgespannt und liefert einen Winkel von 59 Grad. Die Hälfte dieses Winkels (29,5 Grad) von180 ° subtrahiert gibt mit 150,5 Grad gut den Azimutwert der südlichen großen Mondwende für 56,0 Grad Nord wieder: hier beträgt er rechnerisch 151 Grad. Dies ist konsistent zu der Breite, die sich aus der Sternuntersuchung ergibt! Im übrigen hat der Schöpfer der Scheibe ein mondförmiges Etikett an der Visur angebracht. Das sollte auch Berufszweifler überzeugen.
Auf der Scheibe hat man also eine alte Sammlung von Azimutwerten für die Auf- und Untergangspunkte heller und wichtiger Sterne am Horizont vor sich und Angaben für die südliche Große Mondwende. Später wurde großer Wert darauf gelegt, gerade diese Angabe auf die aktuellen Werte zu korrigieren und um die Werte für die kleine Mondwende zu ergänzen, weshalb man die beiden Goldbögen anbrachte.
Selbstredend stellt die Scheibe kein Meßgerät her. Bei der Anreißung der Winkel, der technischen Ausführung (die Tauschierung führt ja auch zur Deformation des Materials) sowie durch nachträgliche Beschädigung sind Darstellungsfehler unvermeidlich; weitere Fehler treten bei der Messung der Winkel heute auf. Man sollte deswegen keine zu hohe Präzision erwarten. Bei den Sternen erscheinen ein bis zwei Grad Positionsfehler angesichts der verbeulten und verzogenen Scheibe möglich.


== Quellennachweise ==
== Quellennachweise ==

Version vom 26. Dezember 2018, 19:30 Uhr

Eine vollständige astronomische Interpretation

Abb. A
Die Himmelsscheibe von Nebra

Die inzwischen recht berühmte Himmelsscheibe von Nebra (Abbildung A) ist archäologisch wie astronomisch ein ausgesprochen interessanter Gegenstand. Sie ist bereits an verschiedenen Stellen hinsichtlich ihres archäologischen, kulturhistorischen und astronomischen[1][2][3][4] Wertes bereits intensiv besprochen worden. Deswegen kann sich hier sofort dem eigentlichen Neuen zugewandt werden. Dabei geht es nun zuerst um die beiden eigentümlichen Randbögen, die die Scheibe aufweist. Sie sind offensichtlich nachträglich angebracht worden, da zuvor am Scheibenrand befestigte Sterne entfernt oder versetzt wurden, um Platz zu schaffen. Zwar ist von den Bögen nur noch einer vorhanden, aber die Umrisse des zweiten haben sich gut erhalten. Allgemein hat sich nun der Eindruck ergeben, diese Randbögen könnten astronomisch für eine Winkelangabe stehen, und vornehmlich der Bochumer Astronom Dr. Wolfhard Schlosser[5] war rasch mit der Idee bei der Hand, daß nun die vom Scheibenzentrum aus betrachtet etwa 82 bis 83 Grad weiten Bögen für die Auf- und Untergangsmarken der Sonne zu den Sonnenwenden ständen. Jetzt zeigt sich, daß sich diese Randbögen auch anders interpretieren lassen, und zwar als Mondwenden. Auch die „Sterne“ auf der Scheibe erhalten unter dieser Vorgehensweise plötzlich eine Bedeutung, und obendrein tritt auch noch ein Hinweis auf eine alte Mondwendendarstellung aus der Zeit vor dem Umbau auf, wobei diese auch noch den Vorteil besitzt, daß der Schöpfer der Scheibe freundlicherweise ein mondförmiges Etikett daran zurückgelassen hat.

Mondwenden

Abb. 1
Die Sternenscheibe von Nebra zeigt, betrachtet vom Zentrum der “Sonne” zu den beiden Randbögen hin, auffälligerweise die Winkel von 109 Grad und 66 Grad.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie
Abb. 2
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie

Sieht man allerdings etwas genauer hin, so erkennt man sofort, daß die beiden Bögen keineswegs gleich lang sind, infolgedessen auch keine identischen Winkel einschließen. Geht man indessen davon aus, daß die auffällige runde Markierung, allgemein als „Sonne“ verstanden, das Zentrum der Betrachtung darstellt (eine Idee, die z.B. in[6] angestellt wird), wodurch man sich durch die Führung der oberen und unteren radialen Kanten der beiden Bögen auch veranlaßt sehen kann, so ergeben sich zwei Winkel, die 109 und 66 Grad weit sind (Abbildung 1). Winkel dieser Größe kennt man auch aus Stonehenge. Dort markieren sie in einer Größe von 102 und 61 Grad die Abstände der Mondauf- und -untergangspunkte zu den Zeiten der großen und kleinen Mondwenden.[7] Stonehenge liegt auf 51,2 Grad nördlicher Breite; also könnten die auf der Himmelsscheibe enthaltenen Winkel auf einen Ort in etwas nördlicherer Lage weisen.

Der Mond bewegt sich bekanntlich auf einer Bahn um die Erde, die 5,160 Grad gegen die Ekliptik geneigt ist. Gleichzeitig präzidiert die Bahn im ganzen einmal in 18,61 Jahren, so daß, obwohl der Neigungswinkel immer derselbe bleibt, unterschiedliche Neigungen relativ zum irdischen Äquator und damit Himmelsäquator auftreten. Maximal und minimal kann die Neigung heute 28,5° und 18,5° relativ zum Himmelsäquator betragen, womit sich der Weg des Mondes am Himmel deutlich ändert. Es ergeben sich vier Maxima bzw. Minima, wenn sich nun die Mondbahninklination zur Neigung der Ekliptik addiert oder von ihr subtrahiert. Im Zuge der Großen Mondwenden kann der Mond, geeignete Mondphase vorausgesetzt, wenn er in maximaler Deklination (+28,5 Grad) steht, weit nordöstlich auf- und weit nordwestlich untergehen. Steht er aber in niedrigstmöglicher Deklination (-28,5 Grad), geht er tief südöstlich auf und südwestlich unter. Durch die Präzession der Mondbahnebene rücken diese Auf- und Untergangspunkte allerdings in den nächsten 9,6 Jahren näher an den Ost- bzw. Westpunkt heran und erreichen hier zur Zeit der Kleinen Mondwerte deutlich geringere Elongationen. Dann erreicht der Mond nur eine geringere maximale (+18,5 Grad) und minimale (-18,5 Grad) Deklination. Das bedeutet nun nicht, daß der Mond nur an den vier dazu korrespondierenden Stellen auf- oder untergehen kann. Vielmehr wandert der Mond innerhalb eines Jahren, genau wie die Sonne, in seinen Auf- und Untergangspunkten vom südlichen Wendepunkt zum nördlichen und wieder zurück. Nur ist dieser Winkel alle 18,6 Jahre besonders groß und jeweils 9,3 Jahre versetzt dazu besonders klein. Bei der Sonne beobachtet man hingegen jedes Jahr denselben Winkel zwischen Sommer- und Wintersonnenwende. Das Erreichen der Mondwenden ist dabei an den gleichzeitigen Eintritt der Winter- oder Sommersonnenwende gekoppelt, da sich ja die Monddeklination zu der Sonnendeklination addiert. Zu beobachten ist der komplette Zyklus deswegen über die Jahrzehnte, da nicht zu jeder Sonnenwende auch gleich die passende Mondphase herrscht (Abbildung 2). Die Mondphasen sind aus geometrischen Gründen übrigens auch an die Sonnendeklination gekoppelt, was die Sache etwas verkompliziert. Treten die Mondwenden bei Vollmond ein, so steht der Mond der Sonne zwangsläufig gegenüber am Himmel. Bei der Sommer-Sonnenwende bedeutet dies, daß der Vollmond mit sehr niedriger Deklination über den Himmel läuft, weil die Sonne bei höchster Deklination am Himmel steht. Aus diesem Grunde geht der Vollmond in der sommerlichen Großen Mondwende dann weit südlich auf. Für einen schmalen, sichelförmigen Mond gilt das Gegenteil: er geht bei der sommerlichen Großen Mondwende weit nördlich auf, weil er dann eine hohe Deklination ähnlich der Sonne besitzt. Zur Wintersonnenwende geht der Vollmond indessen weit im Norden auf und beschreibt bis zu seinem Untergang im Nordwesten einen hohen, langen Weg über den Himmel. Dafür besitzen jetzt die Mondsicheln niedrige Deklination. Also: der Vollmond läuft zur Zeit der Sommersondenwende flach über den Himmel und geht im Südosten auf und im Südwesten unter; zur Zeit der Wintersonnenwende beschreibt der Vollmond eine steile Bahn und geht im Nordosten auf und im Nordwesten unter.

Mit diesem Wissen ausgestattet läßt sich formal die geographische Breite berechnen, für die die Differenz der Azimutwerte b (man sagt dazu auch Pendelbogen) der Großen bzw. Kleinen Mondwenden eben 109 und 66 Grad ergeben. Es finden sich die 53,15 Grad und 53,90 Grad, das heißt, in etwa die nord- bis mitteldeutsche Nordseeküste. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Neigung der Erdachse, die in den Ausdruck eingeht, um 1700 v. Chr. bei 23,883 Grad lag, also etwas größer war als heute.

Die mathematische Vorgangsweise ist ausführlich im Kasten 1 beschrieben; sie führt im Mittel zu einer geographischen Breite von 53,5 Grad. Dieser Wert ist für die atmosphärische Refraktion korrigiert, die ja dazu führt, daß man Sonne, Mond und Sterne noch am Horizont sieht, wenn sie in Wirklichkeit schon rund ein halbes Grad unter dem Horizont stehen. Dazu kommt beim nahen Mond die Horizontparallaxe, die daraus resultiert, daß der Beobachter den Mond beim Auf- und Untergang von verschiedenen Seiten der Erde aus sieht und sich der Mond am Himmel daher aus perspektivischen Gründen um rund ein Grad verschiebt.

Natürlich ist nicht klar, ob die Betrachtung der Mondscheibe ihrem Zentrum oder ihrem oberen oder unteren Rand galt, was weitere leichte Veränderungen ergeben kann, die aber kaum etwas ausmachen.

Bemerkenswert an dem Zusammenhang ist natürlich:

  1. Die beiden unterschiedlichen Bögen auf der Scheibe korrespondieren auch zu zwei verschiedenen Winkeln und sind nicht einfach nur ungenau.
  2. Der Umstand, daß beide Winkel gemeinsam in etwa dieselbe geographische Breite ergeben, wird kaum ein Zufall sein.

Betrachtet man die Scheibe, so erkennt man, daß die „Sonne“ und der „Mond“ sowie die „Sterne“ offenbar die ursprünglichen Bestandteile waren, denn es wurden Sterne bei der Anbringung der Bögen versetzt.

Sterne

Abb. 3
Das angebliche gebremste Chaos der Sternverteilung[8] auf der Scheibe von Nebra zerfällt eigentlich schon beim ersten Blick in eine simple geometrische Anordnung hoher Symmetrie. Die Lage der Punkte legt ohne weiteres ihren Charakter als Visurmarken für Auf- und Untergangspunkte nahe.
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie
Abb. 4
Viele helle Sterne am irdischen Himmel lassen sich auf der Scheibe anhand ihrer Visurmarken im Azimut identifizieren. Angegeben ist hier jeweils der Aufgangsazimut von Nord (links) über Osten (oben) nach Süden (rechts) für die Sterne der oberen Scheibenhälfte; für die Sterne der unteren Hälfte wurde vom Untergangsazimut 180 Grad abgezogen, um die Darstellung zu vereinfachen. Zwei Punkte, die für den Auf- und Untergangspunkt desselben Sterns stehen, erhalten so dieselbe Winkelgröße. Vor allem die Sterne des Orions, aber auch Regulus, Capella und ganz besonders Sirius passen gut in dieser Konzept (siehe Tabelle 1).
Bild: Dr. Norbert Gasch, Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie

Unter der bisher gewonnenen Erkenntnis empfiehlt sich die Überprüfung der bisherigen Interpretation der Scheibe. Im Gegensatz zu bestimmten Veröffentlichungen[9], in denen von einem angeblichen „gebremsten Chaos auf der Scheibe“ und „willkürlich angeordneten Sternen“ die Rede ist, kann man ohne weiteres feststellen, daß die Sterne zu einem recht großen Teil symmetrisch liegen (Abbildung 3), und zwar zu der Horizontalen, die sich aus den Punkten links (wurde mit Aufwand versetzt) und rechts (ist indessen unter dem Bogen verschwunden) ergibt. Offenbar ist dieser Zusammenhang bisher völlig übersehen worden.

Es ergibt sich sofort ein Verdacht: Wahrscheinlich sind die Punkte auf der Scheibe keine Sterne, sondern irdische Visurmarken für Auf- und Untergangspunkte in einer Beobachtungsanlage, wobei in diesem Fall der Azimut von links (Norden) über oben nach rechts (Süden) läuft (die Lage der Himmelsscheibe soll jetzt der Übersicht halber beibehalten werden). Die Anordnung auf der Scheibe ist entweder künstlerisch um die anderen Objekte ausgeführt worden, oder aber es handelt sich sogar um den genauen Grundriß einer Beobachtungsstätte mit Visurpfosten und einem Beobachtungsstandort (eben die „Sonne“). Damit ist das ganze also keine Sternkarte im üblichen Sinn. Auch die mitunter deutlich in Reihen auftretenden Visurpunkte geben einen Hinweis auf Serien von Meßpfosten. Der eigentliche informative Sinn liegt aber in den Azimutwerten der Punkte. Damit kann man arbeiten und versuchen, die Punkte auf der Scheibe mit Auf- und Untergangsazimuten von Sternen, bevorzugt den hellsten, in Übereinstimmung zu bringen. Nähere Informationen zur Vorgehensweise enthält Kasten 2. In jedem Fall müssen Präzession, Eigenbewegung und Refraktion berücksichtigt werden. Es folgen dabei zwei weitere Einsichten:

3. Das ganze Arrangement läßt sich in der Tat mit den Auf- und Untergangsazimuten der hellsten Sterne identifizieren (Abbildung 4), insbesondere Capella und Sirius. Sirius ist hier entweder künstlerisch durch einen Kranz Punkte hervorgehoben (etwa: funkelnd, hell), oder es handelt sich profan und technisch um ein Bündel Meßpfosten zu anderen Zwecken. Zwei weit südliche Aufgangspunkte können γ Crucis (170,7 Grad) und womöglich γ Eridani oder α Arae (168,3 Grad) zugeordnet werden. Dabei ist g Crucis ein recht heller Stern von 1,59 m, dessen Sichtbarkeit Ort und Zeit der Scheibenherstellung durch Präzession und geographische Breite einschränkt. Die beiden anderen Sterne sind allerdings ziemlich schwach. Der Stern γ Eridani (2,95 m) konnte jeweils um die Wintersonnenwende um Mitternacht kurz am südlichen Horizont beobachtet werden. Der Stern α Arae (2,84 m) war hingegen im Sommer sichtbar. Seine Verwendung klingt wegen der dann herrschenden sommerlichen Himmelsaufhellung allerdings weniger glaubhaft. Andererseits ist der Stern durch eine Linie der höher am Himmel stehenden Sterne ε und η Scorpii leicht aufzufinden.

Ohne α Arae und γ Eridani ergibt sich ein deutliches Minimum (nur gut 0,9 Grad durchschnittlicher Fehler pro Stern!) für 2400 v. Chr. und 56 Grad nördliche Breite. (Tabelle 1 und Abbildung 5).

Mit α Arae ergibt sich derselbe Wert mit einem Fehler von 1,0 Grad pro Stern (Tabelle 1 und Abbildung 6). Mit γ Eridani folgt ein Minimum von 1,45 Grad für 2475 v. Chr. und 56,0 Grad Nord unter einem Fehler von 1,4 Grad pro Stern.

Damit ist die Lösung mit α Arae eher wahrscheinlich. Wem nun α Arae zu unwahrscheinlich vorkommt (obwohl: wir wissen wenig über die astronomische Praxis), der sei daran erinnert: es geht auch ohne α Arae; die Lösung wird ohne den Stern nicht schlechter. Bemerkenswert ist, daß in Gestalt der Sterne η und ε Scorpii eine gute Visierlinie auf α Arae gibt.

Bemerkenswert ist noch, daß der Azimutwert bei 86,4 besser auf den Stern Alcyone in den Plejaden paßt als auf den wesentlichen helleren Procyon. Die Visur bei 120,4 Grad fällt praktisch exakt auf den Stern 42 Orionis, der im Zentrum des Nebels M43 liegt. M43 stellt das nördliche Ende des Großen Orion-Nebels dar. Der Stern ϑ1 Orionis im Mittelpunkt von M42 liegt hingegen bei 123,1 Grad Azimut und scheidet als Lösung aus. Bei der Ermittlung des Minima wurde der Nebel wegen der Mehrdeutigkeit seiner Sterne nicht berücksichtigt.

4. Schränkt man ein, daß die Sichtbarkeit der Sterne am Horizont (also Höhe 0 Grad) durch die Extinktion herabgesetzt sein kann[10] und rechnet statt dessen mit einer wahren Höhe von einem Grad, so verschiebt sich die beste Lösung unter größerem Fehler mit oder ohne a Arae auf 2375 v. Chr. und 55,0 Grad Nord. Ab zwei Grad wahre Höhe erhält man nur noch schlechte Lösungen. Offenbar sind die Werte auf der Scheibe auf null Grad wahre Höhe, also echte Horizontsicht, ausgelegt; sie können auch entsprechend vom Scheibenhersteller korrigiert worden sein. Für andere Zeiten und Breiten divergieren die Fehler auch bei wahrer Höhe Null rasch zu großen Werten, so daß es keine weiteren Lösungen gibt, insbesondere keine für die Zeit um 1700 v. Chr. und nördliche Breiten von 51 bis 53 Grad.

Die Sache ist also ziemlich eindeutig. Die Scheibe stammt ursprünglich von woanders her.

In allen Fällen deuten die Werte darauf hin, daß die Scheibe einen Sternhimmel zeigt, wie er vor rund 4.400 Jahren in Schottland, Dänemark, Schweden oder dem Baltikum gesehen werden konnte.

Die Plejaden, ein archäoastronomisch geradezu vorausgesetztes Element, treten auf der Scheibe als einzelner Azimutwert in Erscheinung; keinerlei Hinweis ergibt sich allerdings für die Sonne. Das muß aber kein Widerspruch sein, wenn diese Himmelsscheibe nur Zusammenhänge der nächtlichen Beobachtung darstellen sollte.

Nebenher ergibt sich auch ein Grund für die Sternverteilung an sich.

5. Die Symmetrie (Abbildung 3) erklärt sich simpel aus der Beobachtung von Auf- und Untergang des jeweils gleichen Sterns (das kennt man auch von den Ägyptern zur Richtungsfindung), etwa zur Zeit- oder Ortsmessung. Die Gestirnsauf- und Untergänge finden dabei ja immer zur selben Sternzeit statt. Das Interesse könnte also in der Feststellung der Nachstunden gelegen haben oder im Vergleich der Sternauf- und Untergänge mit denen der Sonne, die vielleicht an anderer Stelle beobachtet wurde, um die Bewegung der Sonne durch den Tierkreis zu verfolgen.

Die spiegelbildliche Interpretation oder die vom Scheibenzentrum aus liefern keine sinnvollen Azimute, insbesondere nicht für die hellen Sterne (es paßt also keineswegs „zufällig“ dauernd „alles“!). Aber dazu mehr weiter unten!

Wer nun auffällige helle Sterne vermißt: Die Visurmarken für Aldebaran und Antares liegen für die gefundenen Orte und Zeiten ziemlich nah bei den der Beteigeuze zugesprochenen Punkte, Castor bewegte sich am damaligen Himmel ähnlich der Capella. Wega, Großer Wagen, Arkturus und Deneb waren zirkumpolar. Für sie gibt es keine Auf- und Untergangspunkte. Das Fehlen all dieser Sterne erzeugt also keinen Widerspruch.

Auf Visurbildung zwischen einzelnen „Sternen“ auf der Scheibe wurde hier verzichtet; davon ergeben sich unüberschaubar viele, die alle irgendwie zufällig auf irgend etwas hinweisen, ohne daß der Zusammenhang zu belegen wäre.

Und noch mal der Mond

Zusätzlich findet sich für die angegebene Epoche und Breite womöglich auch noch die südliche Große Mondwende (Abbildung 7). Dieses Visurenpaar wird durch die Sichelspitzen des Mondes und der Sonnenmitte aufgespannt und liefert einen Winkel von 59 Grad. Die Hälfte dieses Winkels (29,5 Grad) von180 ° subtrahiert gibt mit 150,5 Grad gut den Azimutwert der südlichen großen Mondwende für 56,0 Grad Nord wieder: hier beträgt er rechnerisch 151 Grad. Dies ist konsistent zu der Breite, die sich aus der Sternuntersuchung ergibt! Im übrigen hat der Schöpfer der Scheibe ein mondförmiges Etikett an der Visur angebracht. Das sollte auch Berufszweifler überzeugen.

Auf der Scheibe hat man also eine alte Sammlung von Azimutwerten für die Auf- und Untergangspunkte heller und wichtiger Sterne am Horizont vor sich und Angaben für die südliche Große Mondwende. Später wurde großer Wert darauf gelegt, gerade diese Angabe auf die aktuellen Werte zu korrigieren und um die Werte für die kleine Mondwende zu ergänzen, weshalb man die beiden Goldbögen anbrachte.

Selbstredend stellt die Scheibe kein Meßgerät her. Bei der Anreißung der Winkel, der technischen Ausführung (die Tauschierung führt ja auch zur Deformation des Materials) sowie durch nachträgliche Beschädigung sind Darstellungsfehler unvermeidlich; weitere Fehler treten bei der Messung der Winkel heute auf. Man sollte deswegen keine zu hohe Präzision erwarten. Bei den Sternen erscheinen ein bis zwei Grad Positionsfehler angesichts der verbeulten und verzogenen Scheibe möglich.

Quellennachweise

  1. J. Bergmann, „Die Himmelsscheibe von Nebra“, Parsec 15 (2004), Nr. 2, S. 6-12.
  2. H. Meller, „Die Himmelsscheibe von Nebra - ein frühbronzezeitlicher Fund von außergewöhnlicher Bedeutung“, Archäologie in Sachsen-Anhalt, 1/2002, S. 7-20.
  3. H. Meller, „Die Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 28-33.
  4. W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.
  5. W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.
  6. A. Wirsching, „Zur Vorstellung vom Kosmos in der Bronzezeit“, Der Vemessungsingenieur, 2004 Nr. 5, S. 354-357 und A. Wirsching, „Himmelsscheibe von Nebra“, Der Vermessungsingenieur, 2005 Nr. 1, S. 28.
  7. E.C. Krupp, „Astronomen, Priester, Pyramiden“, C.H. Beck Verlag, München, 1980.
  8. W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.
  9. W. Schlosser, „Astronomische Deutung der Himmelsscheibe von Nebra“, Sterne und Weltraum 40 (2003), Nr. 12, S. 34-40.
  10. Verschiedene persönliche Mitteilungen von Herrn Dr. Burkard Steinrücken, Planetarium Recklinghausen ab dem 29. April 2005.