Die Geschichte des Okkultismus – von den Ursprüngen bis zur Moderne

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Was ist Okkultismus?

Seit den frühen Tagen des Spiritismus hat das Jenseits nichts Erheblicheres kundgetan als Grüße der verstorbenen Großmutter nebst der Prophezeiung, eine Reise stünde bevor.

Theodor W. Adorno

Okkultismus ist ein recht ausgedehnter Begriff, der als magisch geltende Rituale und Praktiken umfasst wie Telekinese, Chiromantie (Handlesen), Kristallomantie, Radiästhesie (Wünschelrute), siderisches Pendel, Tischrücken, Gegenstände mit übernatürlichen Kräften (z.B. Amulette), Parapsychologie, Levitation, Telepathie, Gläserrücken, Wahrsagerei (z.B. Tarot, Glaskugel, Channeling, Alchimie) und übrige Formen der außersinnlicher Wahrnehmung. Wegen seiner Nähe zu Satanismus ist der Begriff Okkultismus heutzutage negativ behaftet. Deswegen wird heute jede Beschäftigung mit transzendenten Dingen als Esoterik bezeichnet.

Die katholische Kirche stuft jede Beschäftigung mit dem Okkultismus als gefährlich ein. Primär dürfte es sich dabei um machtpolitische Interessen handeln, um die Monopolstellung der Institution Kirche zu wahren. Interessanterweise fiel der Christentum vor weniger als 2.000 Jahren in dieselbe Kategorie, die heute den Satanisten eingeräumt wird.

Wie Okkultismus entsteht

Okkultismus ist eine der ersten Anstrengungen des Menschen, seine Umwelt zu verstehen und zu erklären. Die Beschäftigungen mit dem Okkultismus[1], wozu komplexe gesellschaftliche Bräuche, der Totenkult und der Schamanismus gehörten, reicht wahrscheinlich in eine Zeit zurück, als der Geist des Menschen aus seinem animalischen Dämmerdasein zu erwachen begann, als der Mensch sich seiner Vergänglichkeit allmählich bewusst wurde. Der Mensch war Teil einer gefährlichen Welt, die unberechenbar und grausam war und jederzeit in Form von Hunger, gefährlichen Raubtieren, Naturkatastrophen und Krankheit zuschlagen konnte. Okkultismus war der erste Versuch einer denkenden Spezies, Ordnung in das Chaos zu bringen.

Wann es geschah, kann nicht eindeutig beantwortet werden, aber sicherlich gab es zur Zeit, als der Homo erectus begann, Feuer zu nutzen (nach den heutigen Erkenntnissen vor 320.000 - 400.000 Jahren) und seine Toten zu bestatten (das älteste bekannte Grab wird mit 350.000 Jahren datiert), bereits die rudimentären Formen einer Religion. Das Feuer, das immer Tod und Zerstörung brachte, war gebändigt und spendete Licht und Wärme, vertrieb wilde Tiere und machte später auch die Nahrung schmackhafter und länger haltbar. Es wurde zweifellos wie eine Gottheit verehrt. Und auch die Grabbeigaben hätten ohne den Glauben an ein Leben im Jenseits keinen Sinn.

Der Mensch beobachtete die Natur und lernte schnell, Zusammenhänge zu erkennen, auch wenn es oft keine Zusammenhänge gab. Aus A folgt B, post hoc, ergo proper hoc - "danach, also deswegen". Wenn eine Beschwörung oder ein Opfer das Wetter zu beeinflußen schienen, entwickelte sich schnell daraus die Überzeugung, dass gewisse Rituale in die Vorgänge der Natur eingreifen konnten. Dass sich das Wetter auch von selbst ändern konnte, wagte wahrscheinlich niemand auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen. "Die 'Überzeugungsmaschine'", wie der amerikanische Physiker Robert Park von der University of Maryland in seinem Buch 'Fauler Zauber' schreibt, "entwickelt Meinungen viel schneller, als sie sie ablegt. Wenn Menschen erst einmal daran glauben, dass ein Regentanz wirklich das Wetter beeinflußt, legen sie diese Überzeugung auch während langer Trockenperioden nicht ab. Viel eher glauben sie, beim Regengott in Ungnade gefallen zu sein, und opfern vielleicht einen Menschen, um ihn gnädig zu stimmen."[2][3]

Die Fähigkeit, Kausalketten zu bilden, bleibt aber nicht nur auf Menschen beschränkt. Auch eine Ratte lernt schnell, was sie tun muss, um ans Futter zu gelangen oder einem schmerzhaften Stromstoss zu entkommen, und behält dies lange im Gedächtnis. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine schnelle Auffassungsgabe, also die Fähigkeit, sich einer neuen Situation schnell anzupassen, die Überlebenschancen jeder Spezies steigert.

Mitte des 20. Jahrhunderts experimentierte der amerikanische Psychologe B.F. Skinner mit einem Apparat, das später nach ihm benannt wurde: der Skinner-Box. "Eine Skinner-Box ist ein einfaches, aber sehr vielseitiges Gerät, mit dem man in der Regel die Psychologie von Ratten und Tauben untersucht. Sie besteht aus einer Kiste, und an einer Wand dieser Kiste sind ein oder mehrere Schalter angebracht, die eine Taube (beispielsweise) durch Picken mit dem Schnabel bedienen kann. Außerdem enthält sie eine elektrisch betriebene Vorrichtung, die Futter (oder eine andere Belohnung) abgibt. Beide Teile sind so verbunden, dass sich die Betätigung des Schalters auf den Futtergeber auswirkt. Im einfachsten Fall erhält der Vogel jedes Mal eine Belohnung, wenn er auf den Schalter pickt. Tauben lernen sehr schnell, was zu tun ist. Das Gleiche schaffen auch Ratten und - in einer entsprechend größeren und stabileren gebauten Skinner-Box - Schweine."[4] 1948 hatte Skinner eine entscheidende Idee: Er baute die Box so um, dass die Futterausgabe vom Zufall gesteuert wurde, ganz gleich, was das Versuchstier - in diesem Fall Tauben - tat. Rational gesehen, brauchten die Tauben nichts anderes tun als da zu sitzen und passiv auf die Belohnung zu warten. Doch in sechs von acht Fällen handelten die Vögel irrational, entwickelten ein Verhalten, das Skinner als "abergläubisch" bezeichnete. "In den Einzelheiten sah das von einem Tier zum nächsten unterschiedlich aus. Ein Vogel drehte sich zwischen den 'Belohnungen' wie ein Kreisel im Gegenuhrzeigersinn zwei- oder dreimal um die eigene Achse. Ein anderer schob den Kopf mehrmals in eine bestimmte obere Ecke der Kiste. Ein Dritter zeigte ein 'Schleuderverhalten', als wolle er mit dem Kopf einen unsichtbaren Vorhang lüften. Zwei Vögel entwickelten unabhängig voneinander die Gewohnheit, Kopf und Körper wie ein Pendel von einer Seite zur anderen schwingen zu lassen."[5] Die Tauben entdeckten statistische Zusammenhänge und behielten das Verhalten noch stundenlang bei, auch wenn es keine Belohnung mehr erfolgte. Im Grunde genommen taten die Tauben das, was Menschen beim Regentanz tun: Das Gewünschte mit ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekommen. "Hätte der Vogel das Experiment gemacht, den Kopf nicht in die Ecke zu stecken, hätte er festgestellt, dass er die Belohnung ohnehin erhielt. Aber dazu hätte es eines besseren Statistikers bedurft: Er hätte skeptischer sein müssen als viele Menschen."[6]

Okkultismus zwischen Vorantike und Mittelalter

Die Wurzeln des Okkultismus sind sicherlich im vorantiken Animismus, auf dem die Babylonische und ägyptische Kulturen bauten, zu suchen. Der Glaube an die Beseeltheit der Natur, an Hexen und Dämonen, Orakel und Astrologie, Magie und Amulette, die die Menschen von damals als Orientierung in einer Welt der Willkür dienten, finden bis heute Verwendung in esoterischen Kreisen der breiten New-Age-Philosophie. Im Mittelalter wurde die Tradition der babylonisch-ägyptischer Mythologie, die sich in Europa mit dem germanischen und keltischen Mystizismus vermischte, im Verborgenen praktiziert (daher der Wortursprung: okkult [lat.] verborgen, geheim), wenngleich die katholische Kirche Magie und Zauberei, worunter oft auch die Naturheilkunde fiel, verteufelte und antike Bräuche und Riten als Heidentum abwertete. Die altertümlichen Beschwörungen, Dämonen- und Hexenglaube, Heilkunde u.ä. wurde unter dem Begriff Aberglaube geführt, als Teil der "religiösen Polemik" für den "falschen Glauben"[7], was man vielleicht treffender als Diktatur des Christentums bezeichnen sollte. Alles, was nur annährend von der Scholastik des Klerus abwich, wurde mit aller Härte des Gesetzes verfolgt. Doch trotz oft drakonischer Bestrafungen, die nicht selten mit dem Tod des Angeklagten endeten, gelang es der katholischen Kirche nicht, den Glauben an die heidnischen Geister auszumerzen. Dieser bleibt bis in die heutigen Tage in vielen Formen des Aberglaubens latent verborgen, sowie in Festen und Brauchtümern, die mittlerweile größtenteils christianisiert wurden. Vgl.[8]

Okkultismus in der Renaissance

Der dominante Katechismus des christlichen Glaubens in Europa hatte gegen das Ende des 14. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht und stieß allmählich auf Kritik und Ablehnung der neuen akademischen Elite, die nicht selten Theologen, Kleriker und Künstler in einem waren. Die Renaissance nahm ihren Anfang an. Bedeutende Vertreter der Renaissance, die Humanismus, Wissenschaft und Rationalismus zum Hochgut des Menschseins erhoben, waren Leonardo da Vinci, Francis Bacon, Galileo Galilei, Giordano Bruno, Johannes Kepler, Nikolaus Kopernikus, Tycho Brahe sowie die Vordenker, die den Weg in die Renaissance ebneten wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin.

Wissenschaftler und Philosophen griffen die Ideen der Antike wieder auf und perfektionierten sie, legten den Stein für die modernen Formen der Wissenschaft und des Rechts. Auch wenn sich dieses radikale Gedankengut gegen die Institution der Kirche richtete, so half es ihr dennoch im Kampf gegen den Aberglauben, indem es ihn entmystifizierte und ab absurdum führte. Eine große Schar von Theologen und Philosophen feilten an Definitionen, um die Erkenntnisse der Wissenschaft in die alten theologischen Weltanschauungen unterzubringen. Der Verlierer, so schien es, war das, was man Magie und Zauberei nannte.

Doch die päpstliche Bullen, philosophische Poesie und wissenschaftliche Logik blieben nur den Privilegierten vorbehalten. Dort, wo man auf die pragmatische Umsetzung der neuen Erkenntnisse seit Jahrtausenden wartete, dort blieben sie ungehört: Beim einfachen Volk. Und auch dort überdauerten der Aberglaube und der Okkultismus den Winterschlaf der Aufklärung.

Okkultismus in der Romantik

Im eigentlichen Sinne der Wortbedeutung gibt es den Okkultismus und die Esoterik erst seit ca. 200 Jahren. Am Anfang des 19. Jahrhunderts kam eine bürgerliche Bewegung auf, die sich gegen Aufklärung und Rationalismus richtete - die Romantik. Die Anhänger der Romantik lehnten alles Vernünftige und Rationale ab, die wahre Erkenntnis erlangte nicht der gebildete Intellektuelle, sondern derjenige, der seelische Bereiche des Unbewussten ergründet und sich zugänglich gemacht hat. Volksmärchen und Mythen, Schauergeschichten und Verherrlichung des Mittelalters finden sich in der Malerei, Musik, Dichtung und Prosa dieser Epoche wieder. Die bedeutendsten Vertreter dieses Zeitalters, die das moderne Genre der Horrorliteratur schufen, waren Edgar Allan Poe, Mary W. Shelley, H. P. Lovecraft, Bram Stoker und Robert Louis Stevenson. Der Symbolismus und Surrealismus offenbaren den Geist dieser Zeit, sowie die Wiederaufbereitung der mittelalterlichen Sagen und Märchen (Brüder Grimm und Hans Christian Andersen). Aber auch in die Wissenschaft hielt die Romantik Einzug, insbesondere dort, wo viel Spielraum für Deutungen und Spekulationen blieb. Paradebeispiel dieser Strömung war die Freudsche Psychoanalyse. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Bürgertum dieser Zeit ein besonderes Faible für Paranormale und Übernatürliche hatte: den Okkultismus.

In der verrußten, revolutionsgeschwängerten urbanen Atmosphäre des Industriezeitalters, in dem die Begriffe wie Menschenrechte und Naturschutz noch nicht erfunden waren, suchten viele ihr Seelenheil in dem wirklichkeitsfernen Okkultismus. Eine säkularisierte trostlose Welt, in der Materialismus die einzige Philosophie war, war für viele (gutbetuchte) Zeitgenossen nicht befriedigend. Eine realitätsfremde Sehnsucht, die sich wie ein Faden durch das Zeitalter der Romantik zieht, erfüllte die Herzen der gebildeten Schicht und benebelte ihre Geister. Die damals in Mode gekommenen Hilfsmittel, leichter in die höheren Bewusstseinsebenen vorzudringen, waren Absinth, Opium und Morphium.

Wissenschaftsinteressierte Öffentlichkeit befasste sich weniger mit der Wissenschaft selbst, vielmehr schwelgte sie in Träumen und Spekulationen, wie etwa über ein hypothetisches Leben auf dem Mars oder der Venus. Archäologieinteressierte Zeitgenossen begnügten sich nicht immer mit Büchern und Museen; nicht selten gipfelte sich die scheinwissenschaftliche Neugier in sogenannten Aufwickelparties, bei denen der Ehrengast eine ägyptische Mumie war, die vor Augen der versammelten Gästen aufgewickelt, seziert und dabei natürlich zerstört wurde. "Der tote Körper wurde [...] nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch von makabren Neigungen einiger Nekrophilier zunehmend verdinglicht. [...] Private Sektionen [wurden bereits ein Jahrhundert zuvor] populär. Um dieser Leidenschaft zu frönen, waren sehr viele Leichname nötig; kein Wunder, daß Geschichten von Leichendiebstählen auf den Friedhöfen umgingen."[9]

Eine "Säkularisierung des Todesbewußtseins"[10] wurde in Zeiten der Romantik populärer denn je. Das Sterben und der Tod wurden beschönigt, idealisiert und besungen, die Bände zwischen Familienmitgliedern und Liebenden sollten auch nach dem Tod bestehen bleiben, was damals in Mode gekommenen Familiengräbern und Mausoleen seinen Ausdruck fand. Es war ein Zeitalter, in dem Freuds Tiefenpsychologie und Galls Phrenologie (die Lehre von dem angeblichen Zusammenhang zwischen der Schädelform und den intellektuellen Fähigkeiten) populär wurden, ein Zeitalter der Rückbesinnung auf Symbole und Elemente, in dem nach der Auffassung vieler Experten bereits ein latent-protofaschistischer Gedankengut keimte.

Okkultismus im Dritten Reich

Okkultisten, Esoteriker und Pseudowissenschaftler sehen sich gern in der Opferrolle zur Zeit des Nationalsozialismus. Dabei wird oft außer acht gelassen oder bewusst ignoriert, dass der Nationalsozialismus neben Xenophobie und Fremdenhass auf pseudowissenschaftlichen Überzeugungen, wissenschaftlichen Halbwahrheiten, mystifizierten Germanophilie und Okkultismus aufbaute.[11] Auch in ihrer Symbolik bedienten sich die Nationalsozialisten "ausgiebig im Fundus nordischer Mythologie, germanischer Runen und keltischer Symbole."[12] Nationalsozialismus war mehr als plumper Antisemitismus mit selbstsüchtigen, pragmatischen Seiten; der Nationalsozialismus des Dritten Reiches war eine Ideologie, ein Weltbild, eine Ersatzreligion. Hitler selbst äußerte sich dazu wie folgt: "Wer den Nationalsozialismus nur als politische Bewegung versteht, weiß fast nichts von ihm. Er ist mehr noch als Religion: Er ist der Wille zur neuen Menschenschöpfung."

Bedenklich war ebenfalls die ideologische Nähe mit den heute als "natürlich" und "alternativ" geltenden Heilpraktiken wie die der Homöopathie und Anthroposophie. "In ihrerer [sic] Berufung auf Naturgesetzlichkeiten, mit der Betonung von Ganzheit und Volksverbundenheit"[13] entsprachen die Lehren voll und ganz den nationalsozialistischen Vorstellungen und wurden entsprechend in die nationalsozialistische Propaganda übernommen. Die "Nationalsozialisten machten sich die spirituellen, neuheidnischen und okkulten Bewegungen zu Nutze"[14] und bedienten sich der Ideologie, der Sprache und der Symbolik der damals modernen Germanenorden wie der Guido-von-List- oder der Thule-Gesellschaft. Die Ariosophen waren ideologische Wegbereiter für den später geplanten und mit bürokratischer Akkuratheit durchgeführten Genozid. Die am Massenmord Beteiligten versuchten sich später zu rechtfertigen, die Juden seien wegen ihrem "schlechtem Karma" selbst an ihrem Schicksal Schuld gewesen und "hätte[n] in den Gaskammern des 'Dritten Reiches' Vergehen aus früheren Leben zu büßen gehabt."[15]

Auch aus dem selben Anlass ins Leben gerufenen Vereine wie Ahnenerbe oder Lebensborn, die sich mit einer vermeintlichen Überlegenheit der arischen Rasse befassten, basierten auf demselben Gedankengut okkultistisch-esoterischer sozialdarwinistischer Pseudolehren. Der Gründer und Initiator dieser rassenideologischen "Forschungseinrichtungen" war kein geringerer als Heinrich Himmler, Chef der SS.

Himmler war so etwas, was man heute 'esoterischer Guru' nennen würde. "Der horoskopgläubige Reichsführer SS hielt sich für die Reinkarnation des Slawenbezwingers Heinrich I. (919-936)." Noch vor seinem Aufstieg zum Reichsführer "verstieg er sich in ein absurdes Metgebräu aus Rassentheorie, Naturheillehre und völkischem Okkultismus. [...] [Zudem war er] ein Ernährungsapostel. [...] Seine Hoffnung war, dass er nach dem Kriege - er wusste wohl, dass es während des Krieges nicht ging - seine ganze Truppe zu Vegetariern machen könnte, außerdem alkohol- und nikotinfrei. Das war sein Zukunftsbild, und er glaubte, dass auf diesem Wege die deutsche Rasse am besten weiter emporgezüchtet werden könne"[16] Er "ließ seine SS-Mannschaften teilweise [auch] biologisch-dynamisch ernähren und mit Naturheilmitteln kurieren.[17] Himmler war überzeugter Anhänger der Alternativmedizin und hat stets nach verschiedensten Kräutern suchen lassen. Außerdem hat er auch mit einem Alchimisten zusammengearbeitet, der nach dem Stein der Weisen gesucht hat. Als aber kein Gold kam, ließ ihn Himmler aufhängen - eine Praktik, wie man sie höchstens im finsteren Mittelalter zu tun pflegte.[18]

"Rund um den Organisator des Terrors entstand ein Geflecht von Scharlatanen und Scheingelehrten, welche die Objektivität der Forschung dem ideologischen Auftrag zu opfern bereit waren. Ein besonders aberwitziges Beispiel dafür ist die so genannte 'Welteislehre' des österreichischen Ingenieurs Hanns Hörbiger [...]. Hörbiger vertrat die allen empirischen Erkenntnissen widersprechende Ansicht, im Weltall seien große Mengen an Eis vorhanden, die sich in permanentem Ringen mit 'glühenden Sonnen' befänden. Der auf die Erde niedergehende Hagel, der direkt aus dem Weltall stamme, sei der zwingende Beweis für die Schlüssigkeit der 'Welteislehre'. Seriöse deutsche Wissenschaftler lehnet Hörbigers These natürlich schroff ab. Ein Berliner Professor nannte sie einen 'für das Ansehen Deutschlands tief bedauerlichen Rückfall' in eine 'primitive Vorstufe' wissenschaftlicher Forschung. Himmler aber verteidigte den Unfug vehement. In einem Schreiben mit drohendem Unterton verwies er darauf, dass auch Hitler 'seit langen Jahren' ein 'überzeugter Anhänger' der 'Welteislehre' sei."[19]

Der Nationalsozialismus brauchte wie jede andere Religion eine mystische Welt und einen hohen Priester. Die NS-Ideologie besaß beides: die Mär vom edlen Arier und dem tausendjährigen Dritten Reich sowie Heinrich Himmler als seinen Messias.

Okkultismus in der Moderne

Das Ende des Nationalsozialismus in Europa bedeutete noch lange nicht das Ende des Okkultismus. Es dauerte nicht lange, bis sich der Okkultismus in einem frischen Gewand seiner neuen Anhängerschaft präsentierte - den in Drogenexzessen und sexuellen Ausschweifungen gegen alteingesessene gesellschaftlichen Hierarchien und Zwänge protestierenden Blumenkindern des Neuen Zeitalters. Die 68er Hippie-Bewegung ließ den braunen Okkultismus, dem die Generation, gegen die sie protestierten, erlegen war, gesellschaftsfähig werden und in der Nachkriegsdemokratie fest verankern.

Die neue Transzendenz des Esoterikglaubens bediente sich aller erdenklichen theistischen Formen, die gerade ins Konzept passten, quer durch polytheistische Mystik neuheidnischer und fernöstlicher Glaubensvorstellungen. "Passend zum Zeitgeist [konnte] sich jeder und jede ganz individuell seine ideologischen Versatzstücke aus dem Markt der Möglichkeiten herauspicken und sich ein mehr oder weniger kohärentes Weltbild zusammenbasteln."[20] Die zentralen Ansätze des Okkultismus wie Schicksal, Karma und Wiedergeburt blieben jedoch erhalten, die, auf einen Punkt gebracht, eine unumgängliche Vorbestimmung in bestimmte Strukturen hineingeborene Individuen lehrte. Ob Astrologie, Tarot, Handlesen, Pendeln oder Kartenlegen - all diese der New-Age-Anschauungen entspringenden Praktiken vermittelten den Eindruck eines wohlgeordneten Universums, Teil dessen wir alle sind und in dem all unsere Taten vorherbestimmt sind.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Esoterik als ein sehr lukratives Geschäft erwies, das sich viele seiner Anhänger und findige Geschäftsleute nicht entgehen lassen wollten. Der jährliche Umsatz von etwa 7,5 Milliarden Euro, das mit Verkauf von Büchern, Kristallen, Amuletten u.ä. erwirtschaftet wird, lässt kaum noch jemand außen vor. Die Zahlen, die die Beliebtheit esoterischer Praktiken unterstreichen, sprechen für sich: "77% der Deutschen lesen regelmäßig ihr Horoskop, welches in fast jeder Tages- und Wochenzeitung zu finden ist, 50% glauben an Astrologie, 65% glauben an Wunderheiler, die durch Handauflegen die moderne Medizin überflüssig machen, 17% glauben an Wiedergeburt bzw. dass sie wiedergeboren seien."[21]

Leider fühlen sich auch viele Umweltschützer, auf Kosten der eigenen Seriösität, geistig zu den Esoterikern hingezogen, was auf dem Konzept der Ganzheitlichkeit und Naturverbundenheit der Szene beruht. Dass dies oft nicht das geringste mit dem aktiven Umweltschutz zu tun hat, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Bestimmte Praktiken (z.B. die des Feng Shui) verkehren sich sogar nicht selten ins Gegenteil.

Bedenklich ist nach wie vor die ideologische Nähe mit rechten Gruppierungen. "Der im Umgang mit Mythen und Symbolen geübte Rechtsextremismus spricht offensichtlich Bedürfnisse von Jugendlichen an."[22] In einer Welt des Wandels, der finanziellen Sorgen und Zukunftsängsten nutzen Neonazis diese Sehnsucht nach Harmonie, "nach einem einfachen, stimmigen Weltbild in einer komplexen Gesellschaft"[23] für ihre totalitären gesellschaftlichen Ideologien skrupellos aus. Der Okkultismus lässt sich zu diesem Zweck leicht formen und instrumentalisieren.

Schlusswort

Okkultismus brachte ursprünglich die Wissenschaften hervor und wendete sich am Schluß gegen sie. Auf der Suche nach Antworten für die Mysterien dieser Welt begnügte sich der Okkultismus mit den Mysterien selbst, während die Wissenschaft nach Erklärungen suchte und diese auch fand. Die Vorstellung der Esoteriker, dass ein Dutzend Spielkarten aus chlorgebleichtem Papier irgendeine Aussage über das Schicksal treffen können oder dass ein paar geometrische Figuren, erst einmal in richtige Lage zueinander gebracht, die Planeten aus ihren Bahnen werfen oder ein Tor ins Jenseits öffnen können, ist mehr als eine Zumutung für den aufgeklärten Menschen.

Okkultismus war aus einer Urangst des Menschen vor den Naturgewalten geboren, die mit dem Segen beschenkt und dem Fluch belegt wurden, sich ihrer Vergänglichkeit bewusst zu sein. Jede Form von Religion setzt die Unsterblichkeit des Individuums voraus und erfreut sich deswegen großer Popularität, auch wenn es nur eine Flucht vor Realität ist. Natürlich ist der Gedanke tröstlich, schon einmal gelebt zu haben und wieder zum Leben zu erwachen oder ein Leben im Jenseits führen zu dürfen. Die Wissenschaft kommt nicht mit solchen Versprechungen daher, obschon die Vorstellung von der Manifestation des Lebens aus unbelebter Materie mich in ähnliche Ehrfurcht versetzt, wie sie ein religiöser Mensch in seinen Gebeten findet. Der Tod ist für den Naturwissenschaftler das Aussetzen der Körperfunktionen, was den Verfall der organischer Materie, aus der der Körper bestand, nach sich zieht. Die Moleküle, die einst die Zellen bildeten, gehen mit Boden, Luft und Wasser in Verbindung ein und werden zurück an die Umwelt gegeben. Das ist der Kreislauf in der Natur. Doch im gewissen Sinne erlangt der Mensch doch die Unsterblichkeit. Die Unsterblichkeit des Geistes, der in Schrift und Gedanken bestehen bleibt. Ich weiß nicht, ob ich glücklicher wäre, wenn ein gesellschaftsunfähiger Gewalttäter aus der benachbarten Besserungsanstalt die Reinkarnation von einem Aristoteles oder Sokrates wäre. Ich denke, als Tote erweisen sie der Welt einen größeren Gefallen.

Anmerkungen und Quellennachweise

  1. Der Okkultismus wird hier bewusst mit der Religion gleichgesetzt.
  2. Der entzauberte Regenbogen: Wissenschaft, Aberglaube und die Kraft der Phantasie, Richard Dawkins, Rowohlt Verlag, Hamburg 2002
  3. Interessant ist ebenfalls die Theorie, dass die moderne Dichtung ihren Ursprung in den Beschwörungsformeln schamanistischer Geistesbekehrungen hat.
  4. Der entzauberte Regenbogen: Wissenschaft, Aberglaube und die Kraft der Phantasie, Richard Dawkins, Rowohlt Verlag, Hamburg 2002
  5. Der entzauberte Regenbogen: Wissenschaft, Aberglaube und die Kraft der Phantasie, Richard Dawkins, Rowohlt Verlag, Hamburg 2002
  6. Der entzauberte Regenbogen: Wissenschaft, Aberglaube und die Kraft der Phantasie, Richard Dawkins, Rowohlt Verlag, Hamburg 2002
  7. "Okkultismus und Satanismus", Ingolf Christiansen und Hartmut Zinser, Behörde für Inneres – Arbeitsgruppe Scientology, 2001
  8. Siehe auch: Weihnachten – Christi Geburt oder heidnischer Aberglaube?
  9. Tod und Jenseits in Europa. Ein kulturhistorischer Abriß von der Antike bis in die Gegenwart.
  10. Tod und Jenseits in Europa. Ein kulturhistorischer Abriß von der Antike bis in die Gegenwart.
  11. Allerdings distanziere ich mich ausdrücklich von den kursierenden Verschwörungstheorien, die den angeblichen Pakt Hitlers und seiner Gefolgsleute mit dem Teufel behandeln oder dessen Reinkarnation des indischen Gottes Vishnu u.ä.
  12. Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen
  13. Homöopathie im Nationalsozialismus
  14. Okkultismus unter Jugendlichen
  15. DIE ZEIT, 23/1998
  16. "Die SS – Eine Warnung der Geschichte", Guido Knopp, Goldmann Verlag, Leck 2003
  17. DIE ZEIT, 23/1998
  18. "Die SS – Eine Warnung der Geschichte", Guido Knopp, Goldmann Verlag, Leck 2003
  19. "Die SS – Eine Warnung der Geschichte", Guido Knopp, Goldmann Verlag, Leck 2003
  20. Flugblatt zu Esoterik - Was ist dran an Ying & Yang
  21. Flugblatt zu Esoterik - Was ist dran an Ying & Yang
  22. Okkultismus unter Jugendlichen
  23. Okkultismus unter Jugendlichen